Heilmittel IV

Salvarsan – eine Zauberkugel gegen den Erreger | Was hilft gegen das Corona-Virus? Die Suche nach einem Heilmittel oder einem Impfstoff läuft auf Hochtouren. Vielleicht gibt es ja schon einen Wirkstoff gegen etwas ganz Anderes, den man – durch eine klitzekleine Änderung der chemischen Struktur – auch bei Covid-19 einsetzen könnte?

Die gleiche Idee hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts der angesehene Immunologe, Farbstoff- und Serumforscher Paul Ehrlich (1854-1915) im Kampf gegen eine viel ältere Seuche: die Syphilis. Mehr noch, der begeisterte Zigarrenraucher und Krimileser wollte im Labor eine Zauberkugel entwickeln, die mit einem Schuss die Bakterien im Körper des Kranken erledigte. Und das ohne irgendwelche Nebenwirkung für den Patienten. Die „Patrone“ hier, eine kleine, luftdicht geschlossene Glasampulle mit einer braunen, pulvrigen Substanz, ist das Ergebnis seiner Forschung. Das schwarze Etikett benennt das Präparat: Salvarsan.

Paul Ehrlich kannte seinen Gegner. 1905 hatten Fritz Schaudinn (1871-1906) und Erich Hoffmann (1868-1959) an der Berliner Charité den Syphilis-Erreger entdeckt. Es handelte sich um ein merkwürdig spiralig gedrilltes Bakterium. Rasch war klar, dass diese „Spirochaeta pallida“ im Körper der Befallenen kein Gift absonderte. Dagegen hätte sich vielleicht, wie bei Diphtherie oder Tetanus, aus Pferde- oder anderen Großtierorganismen ein Gegengift produzieren lassen. Ehrlich musste den Syphilis-Bazillus direkt attackieren. Die Voraussetzungen waren gut. Seit 1899 leitete er in Frankfurt am Main ein staatliches Institut für Experimentelle Medizin. Hinzu kam 1906 unmittelbar nebenan das mit reichlich Spendengeldern neu erbaute Georg-Speyer-Haus, ein hervorragend ausgestattetes zweites Institut. Ehrlich stand als Wissenschaftler damit auf zwei starken Beinen. Hinter einer Tür suchte und entwickelte er mit seinem Team neue Substanzen. Hinter der zweiten erprobte er sie im Tierversuch.

Alles entscheidend für seine Syphilisforschung war allerdings eine durch und durch verwegene Idee. Ehrlich kannte den „Namen der Rose“ nicht. Konnte er gar nicht kennen. Sehr wohl wusste er aber aus seinen Giftstoff-Forschungen um die Wirkung von Arsen. Was, wenn sich das tödliche Zellgift chemisch so modifizieren ließe, dass es ausschließlich die Bakterien erledigte und Zellen, Gewebe und Organismus des Syphiliskranken nicht tangierte? Ehrlich griff auf ein arsenhaltiges Mittel zurück, Atoxyl, das bereits gegen andere Erreger im Einsatz war. Im Labor veränderte er dessen Struktur in mehreren hundert Varianten und prüfte diese im Tierversuch. Die 606. Charge zeigte endlich Wirkung. Die Symptome schwanden. Die Tiere wurden gesund. Als Patent unter der Bezeichnung „Salvarsan“ (Heilarsen) registriert, ließ Ehrlich davon viele Tausend Proben produzieren und verschickte sie zur Testung an zahlreiche Kliniken und Kollegen. Einen Flop, wie ihn sein geschätzter Mentor Robert Koch (1843-1910) mit Tuberkulin erlebte, wollte er nicht riskieren.

Die Ergebnisse waren positiv. 1910 liefen Fertigung und Vertrieb von Salvarsan durch die Farbwerke Höchst im großen Stil an. Zum ersten Mal stand ein chemisch im Labor entwickeltes Antibiotikum zur Verfügung, ein Medikament, das direkt gegen den Erreger einer großen Volksseuche wirkte. Die über Jahrhunderte hinweg betriebene Gabe von quecksilberhaltigen Mitteln bei Syphilis hatte sich damit allerdings nicht sofort erledigt. Ein Grund hierfür war, dass Ehrlichs Vision von einer medizinischen Zauberkugel als große Illusion zerplatzte. Das mühsam aufzuziehende und unter die Haut oder in die Muskulatur zu spritzende Salvarsan hatte sehr wohl Nebenwirkungen, teilweise sogar massive. Unter der Bezeichnung „Neosalvarsan“ wurde es beständig weiterentwickelt. In den 1930er Jahren gesellten sich im Kampf gegen bakteriell bedingte Erkrankungen Sulfonamide hinzu. Seit 1941 kam schließlich das bereits 1929 entwickelte Penicillin als Medikament auf den Markt. Bis heute ringt die Medizin mit Viren und Bakterien: Der Ausgang ist durchaus offen.

Autor:
Prof. Dr. Thomas Schnalke
Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité
Charitéplatz 1
10117 Berlin
www.bmm-charite.de
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Literatur:
- Axel C. Hüntelmann: Paul Ehrlich. Leben, Forschung, Ökonomien, Netzwerke. Göttingen 2011
- Kirsten Weining (Hrsg.): Arsen und Spitzenforschung. Paul Ehrlich und die Anfänge einer neuen Medizin. Ausstellungskatalog. Berlin 2015

Veröffentlicht am 17.4.2020 als Beitrag für die Galerie Covid-19 & History

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