Mi., 31.8., 19.00 Uhr, mit Dr. phil. Alexander Kästner, Dresden
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Vortragsreihe „Anatomie im Jahrhundert der Aufklärung”
Begleitprogramm zur Sonderausstellung
Die „Alte Anatomie“. Ein Gebäude im Wandel 1723 – 2016
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Der Selbstmord galt in der christlichen Vormoderne als eine der größten Sünden und als eines der abscheulichsten Verbrechen überhaupt. Als ein solches wurden Selbsttötungen bis weit in die Moderne hinein bestraft, indem die Leichen schändlich malträtiert und an abseitigen Orten verscharrt wurden. Bis hinein in den alltäglichen Sprachgebrauch („Selbst“-„Mord“) hat dieser Umstand das Denken über suizidales Verhalten – bis heute – beeinflusst. Hinzu kommt, dass eine Selbsttötung eine grundsätzlich rätselhafte Handlung ist, die Hinterbliebene oft ratlos zurücklässt und in ihrer scheinbaren Bestimmtheit und Endgültigkeit den Wert menschlichen Lebens grundsätzlich infrage zu stellen scheint. Zu erkennen ist dies bis heute an den großen Schnittmengen zur Debatte über Sterbehilfe und die Reichweite des Anspruchs, über das eigene Leben und den eigenen Tod frei entscheiden zu dürfen.
In diesem Vortrag wird zunächst herauspräpariert, wie in der Vormoderne Theologie und Ethik und, an deren Denktraditionen anschließend, das weltliche Strafrecht Selbsttötungen grundsätzlich bewertet und Einzelfälle gedeutet haben. Hierbei wird den Referenten vor allem die Frage beschäftigen, welche Bedeutung der Person und der Biografie von Betroffenen zugemessen wurde, um einerseits die „Tat“ nachvollziehbar zu erklären und andererseits eine moralische Bewertung und ein juristisches Urteil zum Umgang mit der Leiche zu rechtfertigen.
Anschließend wird im Hauptteil des Vortrags die Frage gestellt, auf welche Weise die Medizin, genauer die postmortale Untersuchung der Leiche, seit dem 18. Jahrhundert das Reden und Denken über Selbsttötungen beeinflusst hat. Letztlich geht es bei dem Vortrag auch darum, zu erkunden, inwiefern ein Blick auf medizinische Debatten einer bestimmten Zeit etwas über eine vergangene Gesellschaft im Allgemeinen verrät.
Zum Referenten
Dr. Alexander Kästner ist Historiker. Er forscht und lehrt seit 2005 an der TU Dresden. 2012 war er Gastdozent an der National University of Ireland Maynooth. Zu seinen Spezialgebieten zählen die Sozialgeschichte des Suizids und der Anatomie in der Frühen Neuzeit. Neuerdings beschäftigt er sich mit der Umweltgeschichte von Städten im 18. Jahrhundert, insbesondere der Geschichte des Winters.
Eintritt frei