Wissen / Ausstellen. Eine Wissensgeschichte von Ausstellungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Forschungskolleg an der Universität Göttingen mit Förderung durch die VW-Stiftung

Das Deutsche Medizinhistorische Museum ist beteiligt am VW-Forschungskolleg Wissen | Ausstellen der Professur für Materialität des Wissens (Prof. Dr. Margarete Vöhringer) an der Universität Göttingen.
Wir kooperieren mit dem Forschungskolleg in einem Dissertationsprojekt an der Schnittstelle von Wissensgeschichte, Museologie, Medizin und (Medizin-)Ethik:

Ausstellen und ausgestellt werden. Menschliche Präparate zwischen Forschung, Schaulust und öffentlicher Debatte

Präparate mit Teilen ehemaliger Menschen nehmen eine besondere Stellung in der von Objektivitäten geprägten (natur-)wissenschaftlichen Forschung ein. Sie sind Forschungs- und Lehrmaterial, das gegenständlich behandelt wird und zugleich haftet ihnen ein schwer zu bestimmender persönlicher Charakter oder ‚Rest‘ an. Diese Ambivalenz ist unumgänglich, denn sie speist sich nicht nur aus dem möglicherweise abstrahierten Auftreten des Präparats, sondern liegt in seiner Materialität selbst. In Ausstellungen wird sie offensichtlich und zur Herausforderung für die beteiligten Akteure. Wer und was ausgestellt wird, ist also keine banale Frage. Sie stellt sich im Besonderen für, im weitesten Sinn, menschliche Exponate, die sich wiederfinden zwischen Praktiken und Vorstellungen von gegenständlichen Museumsobjekten und personalisierten ‚human remains‘. Während letztere vor allem im postkolonialen Kontext mit Blick auf Provenienz, Rechtsstatus oder Zeigbarkeit diskutiert werden, ist eine vergleichbare Diskussion für menschliche Präparate im medizingeschichtlichen Kontext weniger stark. Hier setzt das Forschungsvorhaben an und fragt nach den Bedingungen und Kontexten des Ausstellens von menschlichen Präparaten in der Medizin. Ausgehend vom Fallbeispiel Charité Berlin/Humboldt-Universität zu Berlin wird die Entwicklung des öffentlichen Zeigens von menschlichen Präparaten wissenshistorisch untersucht.

Welche Rolle spielen Erscheinungsbild und Präsentationsformen für die expositorische Verortung von Präparaten zwischen den Polen ‚Person‘ und ‚Material‘? Welches Wissen wird hervorgehoben und was nicht gezeigt? Welche Bedingungen und Akteure (strukturell, wissenschaftlich, persönlich) sind beteiligt und wie hat sich der Schauwert in Respons zu öffentlichen Debatten in den letzten 50 Jahren möglicherweise verschoben?

Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang das Phänomen der ‚Körperwelten‘, das seit den 90er Jahren große mediale Aufmerksamkeit generiert. An die objekt- und materialästhetischen schließen sich daher ethische Aspekte an: Auf welche Art und Weise können oder sollen tote Menschen oder Teile von ihnen gezeigt werden? Wie steht eine Ethik des Ausstellens menschlicher Präparate in Zusammenhang mit medialen ‚Blockbustern‘ wie den ‚Körperwelten‘? Und wie grenzen sich medizinische von anderen Ausstellungssituationen ab? Um Kontinuitäten, Brüche und Verschiebungen des Problemfeldes in ihrer historischen Genese zu analysieren und wissensgeschichtlich zu kontextualisieren, setzt das Untersuchungsvorhaben zeitlich vor den ‚Körperwelten‘ ein. So entsteht eine objektzentrierte, ereignishafte und ethisch informierte Ausstellungsgeschichte, die ausgehend von menschlichen Präparaten die Entwicklung universitären Ausstellens im Schnittfeld von Forschung und Öffentlichkeit verfolgt.

Während des Praxisaufenthaltes im Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt stehen Museums- und Ausstellungspraxis im Vordergrund. In der täglichen Zusammenarbeit und der gleichzeitigen ethnografischen und theoretischen Reflexion entsteht eigenes praktisches Wissen zum musealen Ausstellen menschlicher Präparate in der Medizingeschichte. Wechselwirkend wird das Museum Resonanzraum und Diskutant in der Weiterentwicklung des Projekts.

Kollegiatin: Johanna Lessing, M.A., Georg-August-Universität Göttingen

Betreuung:Prof. Dr. Claudia Wiesemann, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin,
Georg-August-Universität Göttingen

Während des Praxisjahres entstand die Sonderausstellung "Die Ingolstädter Maskentonne. Eine Corona-Ausstellung mit medizinhistorischen Bezügen", 10.12.2020-16.05.2021, kuratiert von Greta Butuci und Johanna Lessing. Hier gehts zur Ausstellung

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