Kommunikation VI

Bildersprache in Seuchenzeiten | Eine neue ansteckende Krankheit stellt eine Gesellschaft vor unterschiedlichste Herausforderungen. Das erleben wir gerade angesichts von Covid-19. Zu den Schauplätzen der kollektiven Krankheitsbewältigung gehört auch der kommunikative Umgang mit der Krankheit, von ihrer Benennung über die Vermittlung von Fakten, Zahlen und Graphiken bis hin zur Unterscheidung zwischen zuverlässigen und tendenziösen Informationen. Hinzu kommt: In unserer visuell ausgerichteten Zeit hat es sich eingebürgert, nicht nur über eine Krankheit zu sprechen, sondern sich auch ein fotografisches oder figürliches Bild von ihr machen zu wollen. So ist der auf Hochglanz polierte und schick eingefärbte elektronenmikroskopische Blick auf das Virus inzwischen ikonisch für epidemische Viruskrankheiten geworden. Der „Feind“ ist damit aber weder „erkannt“ noch die „Gefahr gebannt“.

Ganz anders gestaltete sich dieser Schauplatz der Kommunikation bei der viralen Pandemie, die die Welt vor 100 Jahren überfiel, der „Spanischen Grippe“. Damals, am Ende des Ersten Weltkriegs, wurden die Informationen über die Infektionskrankheit, die nach gängiger Lesart mit den US-amerikanischen Truppen nach Europa gekommen war, auf deutscher Seite bewusst minimiert. Es gab auch kein Bestreben, sie bildhaft darzustellen. In Spanien dagegen spielte die kriegsbedingte Zensur keine nennenswerte Rolle – deshalb kam es dazu, dass Meldungen aus Spanien der Pandemie ihren Namen verschafften: „Spanische Grippe“.

In den 1990er Jahren gelang es Molekularbiologen, das Erbgut des für die Pandemie verantwortlichen Virus aus Geweberesten von Grippetoten zu rekonstruieren. Dadurch strukturierten sie auch die Geschichtswissenschaft der Pandemie neu (ancient-DNA-Revision). Seitdem gilt die „Spanische Grippe“ in der Naturwissenschaft und der Epidemiologie als der Prototyp einer desaströsen Pandemie schlechthin. Vorher hatte sie in der öffentlichen Wahrnehmung keine bedeutende Rolle gespielt. Nun dient sie im biomedizinischen Konzept der „bioprepardness“ als Vorlage für Katastrophen-Szenarien: Durch das (Wieder-)Auftauchen von hochansteckenden Viren (im Fachjargon; "(re-)emerging viruses") wird es zu einer katastrophalen Pandemie kommen, so die These, wenn wir nicht maximal gewappnet sind. Kinofilme wie der Blockbuster Outbreak – Lautlose Killer (1995) inszenierten Visionen, die auf dieser Theorie gründen.

Die wissenschaftsjournalistische Berichterstattung benötigte in diesem Zusammenhang visuelles Material zur Spanischen Grippe. Für den deutschsprachigen Raum stellte sich das als Problem dar. Es gab nahezu keine einschlägigen „Bilder“ der Spanischen Grippe, die das massenhafte Sterben oder die Dramatik der Einzelschicksale gezeigt hätten. Am ehesten taugte noch die Fotografie vom sterbenden Maler Egon Schiele, der – keine dreißig Jahre alt geworden – seiner schwangeren Frau nachfolgte, die kurz zuvor auch der Grippe erlegen war. Für die Bebilderung in Printmedien und Fernsehproduktionen pflegt man seitdem auf gängige Aufnahmen aus dem angelsächsischen Sprachraum auszuweichen. Aber auch hier dominierte eher ein wenig sprechendes Bildmaterial, etwa Fotografien von Lazaretten mit kranken Soldaten, denen man ihr vermeintliches Leiden nicht ansah. Während die direkten Folgen des Ersten Weltkriegs durch Fotografien verstümmelter Kriegsopfer oder Filmaufnahmen von Kriegszitterern auch visuell weit verbreitet waren, blieb das große Sterben der Spanischen Grippe im Bild tendenziell weiterhin unterrepräsentiert.

Vor einigen Jahren gelangte vor diesem Hintergrund eine Farbtafel aus der britischen Fachzeitschrift „Lancet“ von 1919 zu neuen Ehren. Sie zeigt die Physiognomie von Kranken mit einem schweren Verlauf der Spanischen Grippe, der zur Ausbildung einer „heliotropen Zyanose“ führt (engl. heliotrope cyanosis). Die tiefe Zyanose (Blaufärbung) korrespondierte mit dem blutigen Lungenödem, in das die Patienten mit Grippe-Lungenentzündung häufig rasant schnell gerieten. Sie kündete vom nahenden Tod.

Die Tafel zeigt drei Stadien: Oben ein Frühstadium mit Gesichtsröte und halbgeschlossenen Augen; in der Mitte ein fortgeschrittenes Stadium mit ausgeprägter Blaufärbung der Haut; unten eine Variante der Zyanose mit relativ blassem Gesicht, aber dunklen Ohren und Lippen. Die Blaufärbung konnte die Gesichtsfarbe insgesamt in ein tiefes Blau-Schwarz verwandeln, worin sich ein massiver Sauerstoffmangel zeigte. Diese Hautverfärbung versetzte viele, die sie sahen, in helle Aufregung, da sie an die Pest (den „schwarzen Tod“) gemahnte. Es kostete die medizinischen Experten der Zeit einige Mühe, diese Interpretation soweit wie möglich zu widerlegen.

Im deutschen medizinischen Schrifttum der Zeit war der Begriff der „heliotropen Zyanose“ ursprünglich nicht gebräuchlich. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde er durch die „Wiederentdeckung“ dieser Bildtafeln dann weltweit zum Inbegriff für eine extrem gefährliche Viruspandemie, deren Auswirkungen für die Menschen nur durch maximale Beatmungskapazität gebannt werden könne. Übrigens wurden Grippepneumonien in der Mehrzahl überlebt. Da die Zahl an Grippetoten im Jahr 1918 insgesamt jedoch immens hoch war, wurde das Bild des Patienten, dessen Hautverdunkelung seinem in Windeseile folgenden Tod vorherging, gerne für die mediale Darstellung der „Spanischen Grippe” herangezogen.

Autor:
PD Dr. Wilfried Witte, M.A.
Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin
Evangelisches Klinikum Bethel Bielefeld

Literatur:
- Rengeling, David: Vom geduldigen Ausharren zur allumfassenden Prävention. Grippe-Pandemien im Spiegel von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. Baden-Baden 2017
- Witte, Wilfried: Bedrohungsszenario. Historische Deutungen der Spanischen Grippe im 20. Jahrhundert. In: Malte Thießen (Hg.), Infiziertes Europa. Seuchen im langen 20. Jahrhundert München 2014, S. 186-205 (= Historische Zeitschrift Beihefte Neue Folge 64)

Veröffentlicht in der Galerie „Covid-19 & History" am 12.5.2020

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