Heilmittel V

Pillen gegen die Pest | Gegen viele Infektionskrankheiten gibt es heute eine Impfung – aber beileibe nicht gegen alle. Bei ansteckenden Krankheiten, gegen die wir nicht impfen können, bleibt nur die Hoffnung, im Krankheitsfall auf rasch wirksame, gut verträgliche und global verfügbare Heilmittel zurückgreifen zu können. Bei der Suche nach solchen Medikamenten stützt sich die Forschung auf die Konzepte der naturwissenschaftlichen Medizin und der modernen Mikrobiologie.

Auch die Ärzte früherer Jahrhunderte begaben sich auf Basis des medizinischen Wissens ihrer Zeit auf die Suche nach Heilmitteln. Dieses Wissen basierte allerdings auf uns heute fremd gewordenen Vorstellungen, die zum großen Teil auf die Viersäftelehre der Antike zurückgingen (Humoralpathologie). Diese erlaubten den gelehrten Ärzten die Einordnung der Seuchen und anderer Erkrankungen in ein in sich schlüssiges Theoriesystem, das von der universitären Lehre der Ärzte bis zur Arzneibereitung durch den Apotheker reichte und alle Lebensbereiche umfasste.

Die Pest galt gemäß der Säftelehre als Vergiftung der inneren Feuchtigkeiten durch in den Körper eindringende „Miasmen“ (verdorbene Lüfte) oder „Contagien“ (unbelebte Krankheitsmaterie). Gemäß der Säftelehre waren Menschen mit warmer und feuchter Natur am anfälligsten. Weniger gefährdet waren solche mit kalter, trockener Mischung. Einfluss auf die Anfälligkeit hatten dieser Lehre zufolge auch Alter, Tageszeit, Jahreszeit oder Sternenkonstellationen sowie die „Diätetik“, also die durch den Menschen beeinflussbare Lebensweise, sein allgemeines Verhalten und sein Ernährung.

Die Auswahl der Arzneien und Rezepturen gegen die Pest basierte auf einigen wesentlichen Eigenschaften: Sie enthielten zum einen laxierende (abführende) Stoffe, um die verdorbenen Säfte und überschüssigen Schleim aus dem Körper abzuleiten. Gelobt wurden hier unter den pflanzlichen Stoffen vor allem Brechnuss, Aloe oder Rhabarber. Als Schweiß austreibend galten Raute, Baldrian oder Diptam. Wichtiger Bestandteil waren weiterhin anregende Stoffe, die die Widerstandskraft, Herz und Magen stärken sollten. Als besonders wertvoll galten hier beispielsweise Safran, Ochsenzunge oder Zitruspflanzen. Schließlich sollten aromatische Stoffe das Miasma aus der Luft und aus dem Körper vertreiben: Dazu zählten angenehm duftende wie Wacholder, exotische Gewürze und Harze, aber auch scharf riechende Substanzen wie Essig oder Salpeter.

Auf dieser Basis gab es zahlreiche Arzneien zum Einnehmen, meist als mehrtägige Trink- und Schwitzkuren. Salben und Umschläge dienten zum Auftragen auf die Haut, etwa zur Ausziehung der Pestbeulen. Rezepte für Räuchermischungen oder pur zum Einatmen sollten die Luft reinigen. Amulette mit eingeschlossenen Duftstoffen galten als apotropäischer Schutz. Wer es sich leisten konnte, ließ diese als kostbare „Riechäpfel“ (Pomander) fertigen.

Einige Arzneirezepturen setzten sich besonders durch. So fehlten „Pillulae Pestilentiales“ (Pestilenz-Pillen) in keinem historischen Arzneibuch. Eine bis ins 17. Jahrhundert viel zitierte Rezeptur sind die „Pillulae Pestilentiales Ruffii“. Sie geht auf den im 2. Jahrhundert wirkenden griechischen Arzt Rufus von Ephesos (80-150 n. Chr.) zurück. Klassischer Bestandteil war Aloe als Laxans, Myrrhe-Harz als Aromaticum sowie Safran zur Herzstärkung. Empfohlen wurde zudem die Zugabe von Mastix zur Stärkung des Magens. Andere Varianten dieses wohl häufigsten Rezeptes für Pestpillen enthielten auch Ammoniakharz als aromatisches oder Limonensaft als stärkendes Element. Die Zutaten wurden jeweils zerkleinert, vermischt und anschließend mit Wein zu einer Pillenmasse verarbeitet. Aus dieser Masse formte man von Hand einzelne Pillen.

Der Heidelberger Arzt Cristoph Wirsung (1500-1571) widmet in seinem vielfach aufgelegten „New Artzney Buch“ der Pest ein umfangreiches Kapitel. Die Pillulae Pestilentiales Ruffi beschreibt er so: „Von diesen wird sogar von fürtrefflchen Ärtzen geschrieben / es sey noch nie erfaren / daß einer so diese ordenlich gebraucht habe / an der Pestilentz gestorben seye. … also reinigend auch diese Pillulen allen überfluß / so sich umb die fürnemste glider versamlet / und lassend das blut nicht erstincken / die mach also / Nim Aloepatica 1 untz / Myrrha / safran jedens 1 lot / stoß mit wolgeschmachtem wein aneinander. Dieser magst du alle wochen 1 P / oder über den 3 tag 3 pillulen…“.

Mit der im 16. Jahrhundert immer populärer werdenden Alchemie kommen auch in der Pesttherapie vermehrt anorganische und durch Destillationsvorgänge chemisch veränderte Substanzen zum Einsatz. So verarbeitete Paracelsus (Theophrastus Bombastus von Hohenheim, 1593/94-1541) diese klassische Rezeptur aus Aloe, Myrrhe und Safran in alchemischer Form als „Elixir Proprietatis“ und rühmte es als lebensverlängernde Arznei. Varianten eines „Elixir Pestilentiales“ in Arzneibüchern des 17. und 18. Jahrhunderts enthielten komplexe Verbindungen aus alchemisch verarbeiteten pflanzlichen Stoffen wie Wacholderöl oder dem klassischen Theriak mit Schwefelblüte und Weingeist.

Sicher konnten einige der beschriebenen Zutaten die allgemeine Konstitution stärken. Doch eine Wirksamkeit gegen die Pest war damit nicht zu erzielen. Das beste Mittel gegen die Pest war und blieb die räumliche Abgrenzung – oder gar die Flucht. So schrieb schon Hans Folz 1482 in seinem „fast köstlichen spruch von der pestilencz“: „fleuch pald, fleuch ferr, kum wider spot [komm wieder spät] / das sint drey krewter in der not, / für all apptecken vnd doctor«.

Autorin:
Dr. Claudia Sachße
Deutsches Apotheken-Museum
Schlosshof 1
69117 Heidelberg
www.deutsches-apotheken-museum.de

Literatur:
- Bock, Hieronymus: Kreüterbuch. Darin underscheidt nammen und Würckung der Kreüter Staüden, Hecken und Bäumen, mit ihren Früchten so in Teutschen Landen wachsen […]. Straßburg 1595
- Cordus, Valerius: Pharmacorum omnium, quae quidem in usu sunt, conficiendorum Ratio […]. Nürnberg 1546, Spalte 133
- Hampe, Th.: Über ein Prosatraktätlein des Hans Folzens von der Pestilenz. In: Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum 1896, S. 83-90
- Wirsung, Christoph: New Artzney Buch. Heidelberg 1568, S. 581

Aus einem Vortrag zur Sonderausstellung „Pest!“ am LWL-Museum für Archäologie in Herne, der wegen der Museumsschließungen ausfallen musste. Angepasst für die Galerie Covid-19 & History am 27.04.2020

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