Sterben

Der Pestfriedhof von Ingolstadt | Von einem Hauptthema der Seuchengeschichte war in der Galerie Covid-19 & History bislang noch gar nicht die Rede: vom Tod. In Seuchenzeiten mussten nicht nur mehr Leichen bestattet werden, von diesen ging – das war bereits in vorbakteriologischer Zeit bekannt – auch eine Gefahr für die gesunde Bevölkerung aus. In Ingolstadt gibt es ein Baudenkmal, das an diese Zusammenhänge erinnert: die Sebastianskirche, benannt nach dem bekannten Pestheiligen.

Ingolstadt wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach von Epidemien, unter anderem auch der Pest, heimgesucht. Mit Hunderten von Toten in wenigen Monaten waren die Kapazitäten der vorhandenen Friedhöfe schnell erschöpft. Im 14. Jahrhundert lagen die Ingolstädter Friedhöfe zudem noch direkt bei den Kirchen (St. Moritz, Münster, Franziskaner-, Augustiner- und Spitalkirche), also innerhalb der Stadtmauer.

Wie in anderen Städten legte man auch in Ingolstadt einen eigenen Pestfriedhof an. Dieser befand sich an der heutigen Sebastianskirche – aber seit wann? Vielleicht war die Pestepidemie von 1347/48 der Anlass für die Schaffung des Friedhofs. Damals lag dieser Ort noch außerhalb der Stadtmauer, was den mittelalterlichen Gepflogenheiten entsprechen würde, dass Pestfriedhöfe außerhalb der Stadt liegen sollten. Erst mit der Stadterweiterung Ingolstadts (ab 1360) und dem Bau einer neuen Stadtmauer kam der Pestfriedhof plötzlich innerhalb der Stadtbefestigung zu liegen. Man kann darüber hinaus annehmen, dass auf diesem Friedhof eine kleine Kapelle stand, an deren Stelle Ende des 15. Jahrhunderts dann eine richtige Kirche gebaut wurde. Sicher ist dies jedoch nicht. 1495 hatte es eine erneute Pestepidemie in Ingolstadt gegeben, so dass man hier auch einen Zusammenhang zum Bau der heutigen Sebastianskirche vermuten kann.

In den Jahren 1604 und 1632 wurde der Sebastiansfriedhof erheblich erweitert – auch hier waren wohl Pestepidemien (1599 und 1632) ursächlich, da die Friedhöfe bei den Kirchen in solchen Zeiten die Zahl der Toten nicht mehr aufnehmen konnten. Die Vergrößerung im Jahr 1632 erfolgte durch den Ankauf eines benachbarten Gartens. Die Stadt war jedoch in dieser Zeit in so große finanzielle Not geraten, dass der Verkäufer jahrelang auf ausstehende Zahlungen warten musste.

Auch wenn der Übertragungsweg der Pest erst seit gut 100 Jahren bekannt ist, wusste man doch schon früh um ihre Ansteckung. Man erklärt sich die rasche Verbreitung der Seuche durch einen giftigen „Pesthauch“ (Miasma) oder haftende „Peststoffe“ (Contagien). Quarantänemaßnahmen waren das bevorzugte Mittel, um der Seuche Herr zu werden. Auch öffentliche Zusammenkünfte wurden im Mittelalter und der Frühen Neuzeit verboten. Brach in einer Stadt die Pest aus, so durften Personen, die aus diesen Städten kamen, andere Orte normalerweise mehrere Wochen lang nicht betreten. In Ingolstadt und anderen Städten wurden die Bürger durch das Anschlagen der entsprechenden Städtenamen an Tafeln vor den Stadttoren informiert, ob die jeweilige Stadt „bandisiert“, also betroffen war oder nicht. Fremde Kaufleute mussten durch ein amtliches Pestzeugnis nachweisen, dass sie aus einer „reinen“ Stadt kamen.

Vergleichbare Kontrollmaßnahmen ergriff man auch im Zusammenhang mit der Bestattung der Toten auf den Friedhöfen. Die Totengräber waren in Pestzeiten besonders gefährdet und gerade sie wurden unter Quarantäne gestellt, wenn jemand unter verdächtigen Umständen gestorben war. In Pestzeiten sollten die Totengräber die „verstorbne […] an ein absonderlich ort, da sonsten niemandt hinkhombt […] tragen, und begraben“ (Bestimmung von 1627). Zudem streute man Sand oder Leim auf die Gräber oder bepflanzte sie mit bestimmten Gräsern, da man dadurch hoffe, eine Ausbreitung der „bösen vapores [Ausdünstungen] aus den gröbern“ (Ratsprotokoll von 1635) zu unterbinden.

Bei der Sanierung der Sebastianskirche Ende der 1980er Jahre und während der Neubebauung des nördlich angrenzenden Areals wurden große Teile des Friedhofes freigelegt und archäologisch untersucht. Die gefundenen menschlichen Überreste wurden auf dem Westfriedhof bestattet.

Autor:
Dr. Tobias Schönauer
Bayerisches Armeemuseum Ingolstadt
Heimatpfleger der Stadt Ingolstadt

Literatur:
- Siegfried Hofmann: Sebastianskirche und Sebastiansbruderschaft. In: Stadt Ingolstadt (Hg.), Sanierung der Sebastianskirche Ingolstadt. Ingolstadt 1989 (ohne Seitenzahlen)
- Tobias Schönauer: Ingolstadt in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Soziale und wirtschaftliche Aspekte der Stadtgeschichte. Ingolstadt 2007 (=Beiträge zur Geschichte der Stadt Ingolstadt 4)

Veröffentlicht am Weißen Sonntag, den 19.4.2020, als Beitrag für die Galerie Covid-19 & History

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