Sterben II

Was ist mit dem Leben unwiederbringlich verbunden? Der Tod | Nach dem 2. Weltkrieg und dem wirtschaftlichen immerwährenden Aufstieg, dem Siegeszug der modernen Medizin und einer in der Geschichte bis heute nicht dagewesenen sozialen Absicherung ist der Gedanke an den Tod in der Regel bis weit ins hohe Alter verschoben worden. Doch jetzt gibt es mit Covid-19 eine Bedrohung durch einen Virus, die (fast) alle Altersgruppen betrifft. So eine Bedrohung ist nur noch von der Pest, der Cholera oder der Spanischen Grippe in historischer Erinnerung. Nun müssen wir uns an die schmerzliche Wahrheit gewöhnen, dass es bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 nicht nur für die ältere Generation schnell zu einer lebensbedrohlichen Lage kommen kann, die eine künstliche Beatmung auf der Intensivstation notwendig macht – und vielleicht sogar zum Tod führt.

Für uns ist das eine unvertraute Situation. Dabei war der „jähe Tod“ Jahrhunderte lang eine allgegenwärtige Bedrohung des Menschen. Da ein Großteil der Bevölkerung des Lesens unkundig war, wurde den Menschen der nahende Tod in einer leicht verständlichen Bildsprache veranschaulicht. Eine verwelkende Blüte, eine verlöschende Kerze oder eine ablaufende Sanduhr versinnbildlichten den Gedanken der Todesnähe. Die christliche Botschaft dahinter: Nur ein Gott gefälliges Leben mit regelmäßiger Beichte (oder sogar Ablass) zur Vergebung der Sünden schütze davor, im Falle eines jähen Todes unvorbereitet vor den Herrn treten zu müssen. Nur so könne man sein Seelenheil retten und der ewigen Verdammnis in der Hölle entkommen. Der Trost in diesem Versprechen der Kirche lag für die Menschen damals darin, dass beim „Jüngsten Gericht“ alle Standesunterschiede aufgehoben sein sollten. Alle mussten sie dem Tode nach der Pfeife tanzen: Papst und König, Kaufmann und Bettelmann, Christ und Jude, Kind und Greis. Der Tod war somit auch der große Gleichmacher, der die im Diesseits herrschenden sozialen Unterschiede aufhob.

Die Auseinandersetzung mit dem Tod war ein wichtiges Element der persönlichen Frömmigkeit. In diesem Zusammenhang entstanden „fromme Pretiosen“ – kleine Kunstwerke zur religiösen Meditation. Und das unter doppelter Perspektive: Der Lebensfreude nach dem Motto „carpe diem“ (genieße den Tag – es könnte dein letzter sein) stand das „memento mori“ (gedenke des Todes – und lebe gottgefällig) gegenüber.

Der kleine, fein gearbeitete Wendekopf aus Elfenbein ist so ein mahnendes Kunstwerk für die persönliche Andacht. Dargestellt ist ein zweigeteilter Männerkopf. Die rechte Seite zeigt einen älteren Mann mit buschiger Augenbraue und krausen Haaren. Die Pupille des rechten Auges scheint schon ins Leere zu starren, während sich an der Schläfe eine Schlange windet. Die linke Gesichtshälfte dagegen zeigt den knöchernen Schädel mit restlichen Eingeweideteilen. Auf der Schädeldecke sitzt ein Rabe, der den Augapfel aus der Augenhöhle herausreißen will. Gleichzeitig entschlüpft der Augenhöhle eine Schlange, die mit dem Raben am Augapfel zerrt. Ein Käfer steckt im Mund. Die hinteren Beine krabbeln noch am Kinn. Eine weitere Schlange reißt das Ohr vom Schädel, das nur noch von den Krallen des Raben an seinem Ort fixiert wird. Am Hinterkopf züngelt noch eine Schlange am blanken Schädelknochen, während ein Käfer sich durch das Haar in der Kopfhaut verbeißt. Aus der Öffnung in der Schädeldecke winden sich schon die Maden.

Solche Wendehäupter fanden oft Verwendung als Abschluss eines Rosenkranzes oder anderer Gebetsschnüre. Sie wurden aus unterschiedlichen Materialien wie Elfenbein, Holz, Silber, Gold oder Messing angefertigt. Ihrer drastischen Bildsprache können wir uns auch heute nicht entziehen. Sie lässt sich Jahrhunderte später noch mühelos entziffern: Der Tod gehört zum Leben dazu.

Literatur:
- Meininghaus, Heiner: Memento mori, Hermann P. Lockner zum 65. Geburtstag. In: Weltkunst 71 (2001), S. 1856-1859
- Laue, Georg (Hg.): Memento mori. München 2002
- Museum Schnütgen Köln (Hg.): Zum Sterben schön. Köln 2006, S. 102–104

Autor:
Dr. Dr. Heiner Meininghaus, Ingolstadt
Mitglied des Kuratoriums der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt e.V.

Veröffentlicht am Sonntag, den 3.5.2020, als Beitrag für die Galerie Covid-19 & History

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