Solidarität I

Teddybär der Münchner AIDS-Hilfe | In Krisenzeiten besinnt sich der Mensch wieder auf sein soziales Wesen. Dies ist auch in der aktuellen Covid-19-Pandemie zu beobachten. Überall im Land gründen sich Initiativen, die für ältere und geschwächte Menschen einkaufen gehen. Abend für Abend versammeln sich Hausgemeinschaften auf ihren Balkonen, um dem Personal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen durch kollektives Klatschen ihren Dank auszudrücken. In den sozialen Medien wird zur Unterstützung regionaler Händler aufgerufen, die durch die verhängten Ausgangssperren in ihrer Existenz bedroht sind. Seuchen, so scheint es, bewegen Menschen dazu, sich verstärkt mit Erkrankten und Gefährdeten zu solidarisieren.

Es ist noch gar nicht so lange her, da verbreitete ein anderes Virus Angst und Schrecken unter der Bevölkerung. Als in den frühen 1980er Jahren HIV / AIDS durch die Medien geisterte, war der Erreger zwar ebenfalls schnell gefunden, ein Heilmittel oder eine Impfung lag aber wie bei Covid-19 in weiter Ferne. Die Angst vor einer Ansteckung war dementsprechend groß, die Epidemiologen rechneten mit Hunderttausenden von Toten. Auch wenn HIV (Human Immunodeficiency Virus) und das aktuelle Coronavirus sich hinsichtlich ihrer Übertragungswege deutlich unterscheiden, sind hier doch auffallende Parallelen zu beobachten.

Aber anders als in der aktuellen Pandemie reagierten einige Politiker und Gesundheitsbehörden damals nur sehr zögerlich. Man beruhigte sich damit, mit Prostituierten, Drogenabhängigen und Homosexuellen die angeblichen Hauptrisikogruppen identifiziert zu haben. Diese irrtümliche Fokussierung auf Randgruppen hatte zur Folge, dass öffentliche Gelder zunächst spärlich flossen und sich die Betroffenen meist selbst helfen mussten. Doch trotz oder gerade wegen der lauten Rufe nach Zwangstestung und «AIDS-Ghettos» kam es zu einer Welle der Solidarität. Überall fanden sich Menschen, die ehrenamtlich wertvolle Aufklärungsarbeit leisteten, Infizierte pflegten und Sterbenden in ihren letzten Stunden beistanden. Mit dem „Red Ribbon“, der kleinen roten Schleife, war bald ein weltweites Symbol für den Kampf gegen AIDS und für die Solidarität mit HIV-Infizierten und AIDS-Kranken gefunden.

Eine solche rote Schleife trägt auch dieser Teddybär, der zum Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember 2016 verkauft wurde. Der Erlös ging an die AIDS-Hilfe in München, die damit Projekte zur Bekämpfung der erworbenen Immunschwächekrankheit unterstützte. Auch wenn dieser Teddy aus dem München des Jahres 2016 stammte, führt der eigentliche Ursprung dieser Plüschtiere in die Schweiz, zu einem Mann namens Heiko Sobel. Dieser hatte in den 1990er Jahre die Idee, mit Spendengeldern aus dem Verkauf von Stoffbären spezifische Projekte zur Prävention der HIV-Ausbreitung oder der Versorgung von AIDS-Kranken zu finanzieren.

Der Zürcher Pfarrer Sobel lernte während eines Aufenthaltes in San Francisco in den späten 1980er Jahren eine Aktion kennen, bei der der damalige Bürgermeister jedem an AIDS Erkrankten im Hospital einen Teddybären geschenkt hatte. San Francisco war zu dieser Zeit neben New York die US-amerikanische Stadt, deren queere Subkultur am heftigsten von dieser Erkrankung rätselhaften Ursprungs heimgesucht wurde. Mit seiner Geste der Solidarität wollte der Bürgermeister demonstrativ gegen die vielerorts stattfindende Diskriminierung von AIDS-Kranken ankämpfen und ihnen in Erinnerung rufen, dass sie immer noch Bürger der Stadt San Francisco wären. Ein Bär in Plüsch schien dabei passend, denn seit 1911 trägt der Bundesstaat Kalifornien einen Bären als Wappentier in seiner Flagge.

Nach seiner Rückkehr in die Schweiz begann auch Heiko Sobel, jedem Neuankömmling im von ihm 1988 mitbegründeten Hospiz für AIDS-Kranke einen Bären als Trostspender zu schenken. Als palliative Einrichtung war dieses Zürcher „Lighthouse“ wie ähnlich organisierte Hospize in der Schweiz defizitär und stand mehrmals vor der Schließung. So kam Sobel auf die Idee, im Rahmen einer Benefizaktion Bären mit Lighthouse-Schriftzug zu verkaufen. Mit dem Erlös sollte die Weiterführung des Hospizes gewährleistet werden. Diese Aktion war so erfolgreich, dass Sobel sie von nun an jährlich wiederholte und die Idee international vermarktete. Seit ungefähr 2000 können AIDS-Organisationen Plüschbären mit speziellen Schriftzügen ordern, um durch den Verkauf Spendengelder zu akquirieren.

In diesem Sinne lassen sich Bären wie der hier abgebildete in eine lange Reihe von Benefiz-Galas oder Charity-Veranstaltungen einreihen, die seit den 1980er Jahren zur Bekämpfung von AIDS ins Leben gerufen wurden. Und wer weiß, vielleicht taucht in der aktuellen Krise bald schon ein entsprechendes Symbol oder ein Plüschtier auf, durch dessen Verkauf Menschen, die durch Covid-19 in Not geraten sind, finanziell unterstützt werden?

Literatur:
- Hornung, René: Schweizer Lighthouses mit ungewisser Zukunft. In: Weber, Achim / Gekeler, Corinna (Hg.), Selbstbestimmt versorgt am Lebensende? Grenzwanderungen zwischen Aids- und Hospizbewegung. Berlin 2. Aufl. 2007, S. 172-176 (= AIDS-Forum DAH 46)
- Rosenbrock, Rolf / Schaeffer, Doris (Hg.): Die Normalisierung von Aids. Politik – Prävention – Krankenversorgung. Berlin 2002, S. 11-68 (= Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Aids-Forschung 23)
- Tümmers, Henning: Aids. Autopsie einer Bedrohung im geteilten Deutschland. Göttingen 2017 (= Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts 23)

Autor:
Dr. Alois Unterkircher
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt
www.dmm-ingolstadt.de

veröffentlicht am 31.3.2020

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