Schutzkleidung V

Verhüllen zum Schutz der Anderen | Seit Montag verhüllen wir Mund und Nase mit einer Maske, wenn wir zum Einkaufen gehen oder im öffentlichen Nahverkehr unterwegs sind. Wir machen dies nicht, um selbst gesund zu bleiben, sondern um unsere Mitmenschen vor uns zu schützen, falls wir bereits infiziert sein sollten. Denn das Perfide an Covid-19 ist ja eben, dass sich die Krankheit erst nach einigen Tagen bemerkbar macht, die Betreffenden in dieser Zeit aber bereits ansteckend sind. Dieser Zusammenhang ist inzwischen so oft erklärt worden, dass wir es jetzt alle wissen: Die Stoffmasken reduzieren die Ansteckungsgefahr für unser Gegenüber, nicht für uns selbst.

Das Prinzip der „textilen Verhüllung zum Schutz der Gesunden“ wurde schon vor Jahrhunderten angewendet, wie diese kolorierte Tuschezeichnung vor Augen führt: Zwei Männer tragen eine einfache Sänfte. Auf dem Stuhl sitzt eine dritte Person, von der nur Unterschenkel und Füße zu sehen sind. Der restliche Körper ist durch ein schwarzes Tuch verhüllt. Die Überschrift ordnet die Darstellung ein: „Grosser Sterb zu Nermberg“, steht hier zu lesen. Die Zeilen darunter erläutern das Seuchengeschehen weiter: „Anno 1562 Jar starb es Gewaldig zu / Nurremberg das kein Man gedacht es flohen / die Reichen leud alle auß der stat darinnen / Sturben 10345 Menschen den allen / Gott die frolich aufferstehung gebe.“

Die ungewöhnliche Bild-Chronik stammt von dem Nürnberger Weinschenk Wolf Neubauer d. J. (gest. 1621), der hier die große Pest des Jahres 1562 beschreibt. Als Motiv wählte er die vielleicht markanteste Maßnahme der Obrigkeit: Es war eine Anzahl von Tragen angeschafft und dazu Träger angestellt worden, um Erkrankte rasch aus der Stadt in das Lazarett St. Sebastian, das reichsstädtische Pesthaus, vor den Toren der Stadt zu bringen. Die Obrigkeit, so die wesentliche Bildaussage, stellt sich dem Problem und sorgt für ihre Untertanen – für die Erkrankten im Lazarett, für die Gesunden durch die Absonderung der Erkrankten. Bereits vorher hatte sich durch Flucht „abgesondert“, wer die Möglichkeit dazu hatte: „die Reichen leud“. Immerhin 10.345 Nürnbergerinnen und Nürnbergern gelang dies nicht. Sie erkrankten und starben.

Städtische Krankenträger gab es in Nürnberg bereits in dem schweren Seuchenjahr 1533. Ihnen wurde eigens aufgetragen, nicht den schnellsten Weg ins Lazarett zu nehmen – der auch einmal quer durch die Stadt hätte führen können – sondern immer zuerst durch das nächstgelegene Stadttor die Stadt zu verlassen. Von dort aus sollten sie die Kranken außerhalb der Mauer zum Lazarett tragen. Diese Regelung war so wichtig, dass an einem Stadttor (dem Irrertor) sogar die dort befindlichen Drehhaspeln durch weniger hinderliche Schranken ersetzt wurden, um das Passieren mit der Trage zu ermöglichen. Die rasche Entfernung der Kranken aus der Sichtweite der gesunden Bürgerinnen und Bürger wurde nicht nur vorgeschrieben, um die Gefahr der Ansteckung zu reduzieren. Es ging dabei auch um, wie wir heute sagen würden, Aspekte der „psychischen Hygiene“.

Bei dem großen Sterben des Jahres 1562 wurde das Transportwesen in das Lazarett reorganisiert und eine größere Zahl von neuen Tragen angeschafft, deren Verkehr vermutlich nicht nur den Chronisten Neubauer beeindruckt hat. Eigene Ordnungen verzeichneten penibel die Pflichten der Krankenträger. Sie sollten die Kranken so schnell und unauffällig wie möglich transportieren. Deshalb wurde der Krankentransport auf die Stunde vor Sonnenaufgang und die Stunde vor Mittag beschränkt. Die Abbildung in der Chronik belegt, dass der Transport von verhüllten Kranken für die Stadtbewohner besonders eindrucksvoll – und wohl auch erschreckend – gewesen sein muss. Eben vor diesem Schreck galt es die gesunden Menschen zu schützen, denn eine starke seelische Erschütterung galt in Seuchenzeichen als besonders gefährlich. So beklagten Nürnberger Ärzte im Jahr 1575, dass sich bereits Todesfälle aus Erschrecken ereignet hätten, weil die Träger „gemeiniglich auß lauterm mutwillen / die vergifften Leut durch solche ort tragen / da am meysten volck bey einander ist“.

Während sich die Fürsorge für Erkrankte eher im Stillen und Abgelegenen abspielt, führt der Schutz der Gesunden zu augenfälligen Änderungen im öffentlichen Leben. Für den Chronisten Neubauer wurden die verhüllten Kranken zum geradezu ikonischen Bild des Seuchenjahres 1562. Welches Motiv wird für uns wohl einmal für das Seuchenjahr 2020 stehen? Vielleicht das Selfie mit der selbstgenähten Stoffmaske?

AutorIn:
Prof. Dr. Fritz Dross
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Prof. Dr. Marion Maria Ruisinger
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt

Wir danken dem Stadtarchiv Nürnberg für die Erlaubnis zur Verwendung des Bildes aus der Neubauerschen Chronik!

Literatur:
- Dross, Fritz: Seuchen in der frühneuzeitlichen Stadt. In: Susanne Greiter, Christine Zengerle (Hg.), Ingolstadt in Bewegung. Grenzgänge am Beginn der Reformation. Göttingen 2015, S. 303-324, link
- Porzelt, Carolin: Die Pest in Nürnberg. Leben und Herrschen in Pestzeiten in der Reichsstadt Nürnberg (1562-1713). St. Ottilien 2000 (= Forschungen zur Landes- und Regionalgeschichte 7)

Veröffentlicht in der Galerie Covid-19 & History am 2.5.2020

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