Richtig Husten

Glasdia aus einer Serie zur Volksaufklärung in Sachen Ansteckungsschutz | Von einer Fahrt in einer so dicht besetzten Straßenbahn wäre zurzeit schon unter dem Aspekt des „social distancing“ abzuraten. Und dann noch dieser hustende Mann, der noch nicht einmal die Hand – geschweige denn den Ellenbogen – vor den Mund hält, um die Flugbahn seiner infektiösen Tröpfchen abzulenken! Völlig ungeschützt ist das kleine Kind, das ihm gegenüber auf dem Schoß der Mutter sitzt, dieser Erregerdusche ausgesetzt. Da hilft auch die abwehrend erhobene Hand der Mutter nichts.

Als wir dieses Bild 2018 im Rahmen der Ausstellung „Radiologie im Nationalsozialismus“ gezeigt haben, mussten wir unseren Gästen die Zusammenhänge noch erklären. Heute wäre das nicht mehr nötig. Unser durch Covid-19 geschulter Blick erkennt sofort die Problematik des Settings. Die kollektive Sensibilisierung für die Wahrnehmung infektionsfördernder Situationen hat in den letzten Tagen rasante Fortschritte gemacht.

Dabei geht es bei diesem Bild gar nicht um Covid-19 oder eine andere hochinfektiöse Erkrankung. Das Bild stammt vielmehr aus einer Lichtbildreihe zur Tuberkulose, die in den 1930er Jahren in hoher Stückzahl vom Deutschen Hygiene-Museum in Dresden produziert wurde. Tuberkulose ist eigentlich nicht sehr ansteckend. Gesunde Menschen ohne Immunschwäche laufen kaum Gefahr, an Tuberkulose zu erkranken. In einer Bevölkerung, die durch Arbeitsüberlastung, schlechte Wohnverhältnisse und Mangelernährung geschwächt war, hatte sie jedoch leichtes Spiel. Anfang des 20. Jahrhunderts war sie bei uns die Todesursache Nummer 1, noch vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebsleiden.

Der Übertragungsweg der Tuberkulose war zu diesem Zeitpunkt - Robert Koch sei Dank – schon seit rund 50 Jahren bekannt. Aber es gab immer noch kein wirksames Medikament gegen die Tuberkelbazillen. Die einzige Möglichkeit, diese Volkskrankheit einzudämmen, bestand in der Unterbrechung ihrer Übertragungswege. Durch die Anpassung des eigenen Verhaltens sollte jede/r Einzelne dazu beitragen, sich und andere vor der Ansteckung zu schützen. Unter der totalitären Herrschaft der Nationalsozialisten beließ man es nicht mehr bei reinen Umerziehungsmaßnahmen. Wer nicht bereit war, sich angemessen zu verhalten, dem drohte die Zwangseinweisung in eine Heilstätte durch die nationalsozialistische Tuberkulose-Fürsorge.

Autorin:
Prof. Dr. Marion Ruisinger
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt
www.dmm-ingolstadt.de

geschrieben im Homeoffice am 21.3.2020

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