Quarantäne III

Maßnahmen zur Eindämmung einer Epidemie im Römischen Reich | Ob sich Geschichte wiederholt? Ja! Gerade in Zeiten, wo SARS-CoV-2 in aller Munde ist und die globalisierte Welt in Angst und Schrecken versetzt, in Zeiten, wo kriegerische Ereignisse im Nahen Osten, gepaart mit einer Migration von Bevölkerungsteilen ihre Auswirkungen auch auf Mitteleuropa haben, da ist es hilfreich, einen Blick zurück in die Vergangenheit zu werfen – in diesem Fall zurück auf die „Antoninische Pest“ der Jahre 165 bis 180/90 n. Chr. Die Verhaltensmustern und Strategien erscheinen uns immer noch vertraut, geradezu stereotyp, die Koninzidenzen stimmen nachdenklich.

Von der „Antoninischen Pest“ sind keine Objekte erhalten. Aber das Österreichische Archäologische Institut (ÖAI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat in den Jahren 2015 bis 2018 in Slowenien Forschungen zu den archäologischen Spuren und Auswirkungen der Epidemie vorgenommen. Die geophysikalischen Messungen mit Radar und Magnetik lieferten Daten, die eine 3D-Visualisierung der Gebäude eines Militärlagers erlaubten. Die virtuelle Rekonstruktion des großen Heeresspitals (valetudinarium) ist hier zu sehen. Das Lager ließ Marcus Aurelius, der „stoische Philosophenkaiser", für eine neu ausgehobene Legion, die legio II Italica, bauen. Doch hier ging es um mehr als um Krieg – hier ging es um die Eindämmung einer Epidemie.

Aber erzählen wir die Geschichte der Reihe nach: Wir schreiben das Jahr 169 n. Chr. Kaiser Marcus Aurelius hat ein Problem. Seit dem Beginn der 160er Jahre herrscht Krieg mit den Parthern, deren Reich sich vor allem über Territorien der heutigen Länder Syrien, Osttürkei, Iran und Irak erstreckt, also über jene Gebiete, die auch heute als „Krisenherde" angesprochen werden. Sein Mitregent Lucius Verus, ein genialer Stratege, „löst" zwar das Problem im Osten und beendet den Krieg siegreich, doch gleichzeitig erheben sich die germanischen Stämme nördlich der Donau. Sie überschreiten die Donaugrenze und dringen über die Bernsteinstraße, die von Carnuntum (Niederösterreich) nach Aquileia bei Grado (Italien) führt, nach Süden vor, um die durch die Absenz der römischen Truppen bedingte Gunst der Stunde zu nutzen.

Marcus Aurelius ist gezwungen, rasch zu handeln. Er muss seine Truppen aus dem Nahen Osten an die Donau verlegen, in das Gebiet des heutigen Österreich (Noricum) und Ungarn (Pannonien). Und damit beginnt auch schon die Tragödie: Zur selben Zeit bricht nämlich im Osten die „Antoninische Pest“ aus - wahrscheinlich eine Pocken- oder Masernepidemie. Der römische Arzt Galen von Pergamon beschreibt die Symptome der Krankheit mit Fieber, Ausschlägen und Bläschen.

Galen reist auf Wunsch von Marcus Aurelius nach Aquileia an die obere Adria, wo die Epidemie bereits unter den aus dem Orient heimgekehrten Soldaten grassiert. Es verbreitet sich rasch unter dem Militär und in der Folge auch unter der Zivilbevölkerung über das gesamte Reich. Der Mitregent Lucius Verus stirbt 169 n. Chr. in Aquileia an den Folgen der Epidemie.

Wie reagiert der Kaiser Marcus Aurelius auf diese Doppelbedrohung? Zur Abwehr der germanischen Aggressoren wird an den Grenzen verstärkt Militär stationiert. Das Mutterland Italien ist aber sowohl von den Germanen als auch von den eigenen infizierten Soldaten und Bewohnern bedroht. Der Kaiser richtet daher die praetentura Italiae et Alpium, einen an den Ausläufern der Alpen gelegenen "Checkpoint" beziehungsweise eine Schutzzone für Italien ein.

Topografisch gesehen gibt es an der Bernsteinstraße eine bedeutende Engstelle, die jeder und jede auf dem Weg von Norden nach Süden und von Ost nach West in Richtung Italien passieren muss. Dieser „Hot Spot" liegt in Ločica bei Celje im heutigen Slowenien. Von hier gelangt man über den Trojane-Pass Richtung Italien – wer den Karst passiert, befindet sich in der padanischen Ebene, auf freiem Weg nach Rom.

Der Kaiser lässt an dem neuralgischen Punkt in Ločica das bereits erwähnte Militärlager bauen, das vom ÖAI untersucht wurde. Die Ergebnisse sind gerade heute von historischer Bedeutung: Man kann nämlich nachverfolgen, in welcher Reihenfolge, mit welchen Prioritäten die Gebäude im Lagerinneren in Krisenzeiten errichtet werden, welche Strategien und Akutmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in Oberitalien im Jahr 169 n. Chr. ergriffen wurden.

Man beginnt mit dem Mauerring, der Befestigung. Im Inneren konzipiert man die Abwasserkanäle, und dann errichtet man als erstes Gebäude, vielleicht auf Anraten Galens, das für damalige Zeiten riesige valetudinarium – ein 8.250 qm großes Heeresspital, das in der 3D-Rekonstruktion zu sehen ist. Daneben stellte man einen mit 2.500 qm ebenfalls übergroßen Speicherbau (horreum) für Getreide, mit dessen Volumen man 5.000 Menschen ein Jahr lang hätte versorgen können. Nur diese beiden Gebäude werden fertiggestellt. In den 34 Abteilungen des Heeresspitals versorgt man 500 Erkrankte beziehungsweise Infizierte und hält sie in Quarantäne. Mit der sehr rasch neu geschaffenen Infrastruktur konnte man somit zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung einer Stadt medizinisch versorgen bzw. isolieren.

Weitere überraschende Befunde kamen zu Tage: Man baute lediglich Mannschaftsunterkünfte für zwei anstatt sechs Kohorten, für höchstens 1.500 Soldaten. Anhand der Grundrisse dieser Kasernen kann man, neben Soldaten der legio II Italica, auf die zusätzliche Präsenz einer mobilen berittenen Eliteeinheit aus Rom, nämlich der kaiserlichen Garde (equites singulares) schließen. Diese wurde explizit für den Grenz- und Quarantäneschutz abkommandiert und indiziert die Anwesenheit des Kaisers selbst.

Als weiterer Bau wird das Stabsgebäude (principia) errichtet, wo der Lagerkommandant und sein Krisenstab ihre Büros einrichten. Zuletzt beginnt man mit dem Bau eines großen Badegebäudes (thermae), das unabdinglich für die Einhaltung der hygienischen Maßnahmen ist. Die übrigen 150.000 Quadratmeter großen Flächen innerhalb der Lagermauern bleiben frei. Anscheinend überschlagen sich nämlich die Ereignisse: Die Thermen werden nicht mehr fertiggestellt, und die Truppe verlegt man vorzeitig an die Donau nach Lauriacum (Enns). Das Heeresspital und der Speicherbau dürften jedoch längere Zeit danach noch in Betrieb geblieben sein.

Marcus Aurelius schloss die Grenzen Italiens – einerseits, um das Eindringen von Aggressoren zu verhindern, andererseits, um mit einer Quarantänestation die Verbreitung des Virus einzudämmen. Die Strategien im Kampf gegen die Epidemie sind durchaus mit heute vergleichbar: In einem globalisierten römischen Weltreich ist die Wirksamkeit und Ausbreitung der Seuche vorerst nicht absehbar. Sobald jedoch Erfahrungswerte gesammelt sind, werden unter Beiziehung von medizinischen Spezialisten umgehend Sofortmaßnahmen ergriffen: Man baut eine Quarantänestation und Speicherbauten für Lebensmittelvorräte, da nicht klar ist, wie lange die Krise dauern wird. Parallel dazu werden Elitetruppen abgestellt, die neuralgische Verkehrsknotenpunkte kontrollieren.

Wie geht diese Episode der römischen Geschichte aus? Kurzfristig erfolgreich: Die römische Armee schlägt die Germanen, die Außengrenzen werden gesichert, die „Bernsteinroute" geschlossen. Mittelfristig sind weniger die militärische Bedrohung denn die Auswirkungen der Antoninischen Pest eine Gefahr für das römische Reich. Im Jahrzehnt nach diesen Ereignissen ist ein deutlicher Bevölkerungsrückgang und damit verbunden eine Verödung von Siedlungen und ein nachhaltiger wirtschaftlicher Niedergang merkbar.

Hoffen wir, dass unsere heutigen Maßnahmen und die Möglichkeiten der modernen Medizin derart gravierende mittelfristige Auswirkungen auf die Bevölkerung verhindern. Zum Zeitpunkt der Publikation der archäologischen Forschungsergebnisse war die Aktualität der Thematik noch nicht abzusehen.

Autor:
Univ.-Doz. Dr. Stefan Groh
Österreichisches Archäologisches Institut der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften link
Franz Klein-Gasse 1
1190 Wien
Österreich

Literatur:
- Groh, Stefan: Im Spannungsfeld von Macht und Strategie. Die legio II Italica und ihre castra von Ločica (Slowenien), Lauriacum/Enns und Albing. Linz 2018 (= Forschungen in Lauriacum 16)
- Duncan-Jones, R. P.: The impact of the Antonine plague. In: Journal of Roman Archaeology 9 (1996), S. 108-136

Veröffentlicht am 20.4.2020 als Beitrag für die Galerie Covid-19 & History

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