Quarantäne I

Warntafel zur Kennzeichnung eines Hauses mit Pockenkranken aus dem Jahr 1871 | Derzeit wird intensiv über das sogenannte Handy-Tracking als mögliches Mittel zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie diskutiert. Dahinter steht die Überlegung, mit Hilfe von speziellen Apps Bewegungsprofile der Bevölkerung zu erstellen. Wird jemand positiv auf das Corona-Virus getestet, könnte man über eine Analyse der Handydaten sämtliche Kontaktpersonen herausfiltern und Infektionsketten nachzeichnen. Betroffene werden dann mit einer kurzen Textnachricht über die positive Testung einer Kontaktperson informiert und können entsprechende Maßnahmen ergreifen, etwa eine freiwillige Quarantäne. Vom Prinzip her funktioniert diese App demnach wie ein „digitales Warnschild”, das Infizierte virtuell vor sich hertragen.

Die Nutzung einer App gegen die Covid-19-Pandemie ist zweifellos eine neue Technik, der eigentliche Gedanke dahinter jedoch sehr alt. Denn seit jeher versuchte man infizierte Personen und Orte, an denen sich Kranke befanden, durch deutlich sichtbare Symbole zu kennzeichnen und Gesunde vor den darin befindlichen Personen zu warnen. In Pestzeiten etwa brachte man spezielle Pestfahnen an den Haustüren von Erkrankten an. Wurde auf einem Schiff eine gelbe Flagge gehisst, signalisierte diese einen Seuchenausbruch an Bord. Ein Beispiel aus dem 19. Jahrhundert sind Pockenwarnschilder wie das hier gezeigte.

Das schwarze Holzbrett mit dem weißen Schriftzug „POCKEN.” hing an einem Haus in der niedersächsischen Stadt Hornburg und warnte vor dem Kontakt mit dessen Bewohnern. Diese waren im Jahre 1872 an den Pocken erkrankt, standen unter Quarantäne und durften das Haus nicht verlassen. Die Pockenepidemie, von der die Bewohner dieses Hauses betroffen waren, hatte ihren Ursprung im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Dieser Krieg dauerte zwar nur wenige Monate. Doch diese kurze Zeit reichte aus, um im kriegsbedingten Chaos die letzte große Pockenepidemie des 19. Jahrhunderts in Europa auszulösen.

Ihren Ursprung nahm die Epidemie in Frankreich, wo die Pocken bereits seit längerem in verschiedenen Gebieten wüteten. Die Mobilmachung der französischen Truppen im Sommer 1870 trug das Virus rasch in bislang pockenfreie Gegenden – und mitten hinein in die französische Armee. Denn nur wenige der Soldaten waren gegen Pocken geimpft. Ganz anders sah es bei den deutschen Soldaten aus. Dort wurden die jungen Männer bereits bei ihrer Einberufung zum Militär systematisch (wieder-)geimpft. Die Folgen dieses ungleichen Impfschutzes in den beiden Armeen waren bald zu spüren. Die Pocken breiteten sich unter den französischen Soldaten in den von den Deutschen belagerten Festungen ungehindert aus und griffen auf die Zivilbevölkerung über.

Doch die Epidemie blieb nicht auf Frankreich beschränkt. Nach Kriegsende wurden französische Kriegsgefangene auf ganz Deutschland verteilt, wo sie das Virus in die Bevölkerung trugen. Diese war aber nur  teilweise geimpft oder nicht mehr gegen das Pockenvirus immun, da die Schutzwirkung der im Kleinkindesalter durchgeführte Impfung, der„Vakzination”, mit der Zeit wieder nachließ. Dies war der Beginn einer europaweiten Pockenepidemie, die erst im Jahre 1874 erlosch und hunderttausenden Menschen das Leben kostete.

Als die Pocken im Herbst 1871 die Stadt Hornburg in Niedersachsen erreichten, erkrankten dort in weiterer Folge rund 150 Menschen, und die Stadt hatte 25 Tote zu beklagen. Die Stadtverwaltung sah sich Ende des Jahres gezwungen, „zur Warnung und weiteren Verbreitung derselben die gesetzlich vorgeschriebenen Maaßregeln zu treffen, darin bestehend, daß die von der Krankheit heimgesuchten Häuser mit dazu eigends angefertigten Pockentafeln versehen wurden, von denen 30 vorhanden sind." Die Kennzeichnung der Häuser und das Verhängen von häuslicher Quarantäne über die Bewohner derselben gehörten zu den wenigen verfügbaren Schutzmaßnahmen, um die weitere Ausbreitung der Seuche zu verhindern.

Autor:
Dr. Alois Unterkircher
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt
www.dmm-ingolstadt.de

Quelle:
Stadtarchiv Hornburg, NStAW 37 Slg 169 Nr. 2484

Veröffentlicht in der Galerie Covid-19 & History am 3.4.2020

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