Impfen III

Karikatur auf die Folgen der Kuhpocken-Impfung | Die Welt wartet auf einen Impfstoff gegen Covid-19. Erst wenn durch die Impfung eine ausreichende Herdenimmunität erzielt ist, können wir wirklich aufatmen. Von den kritischen Stimmen, die sonst beim Reizwort „Impfung“ rasch laut werden, war bislang noch nichts zu hören. Dazu ist die Gefahr, die von dem neuen Virus ausgeht, wohl doch zu augenfällig.

Die Impfgegnerschaft ist übrigens fast so alt wie das Impfen selbst. Innerhalb kürzester Zeit nach der Entwicklung der Kuhpockenimpfung meldeten sich die ersten Impfgegner zu Wort. Eine besonders einprägsame Bildsprache entwickelte dafür der britische Kupferstecher James Gillray, von dem die hier gezeigte kolorierte Radierung aus dem Jahr 1802 stammt. Damals war es gerade fünf Jahre her, dass Edward Jenner vorgeschlagen hatte, die gefährlichen Menschenpocken durch die Einimpfung der (für den Menschen harmlosen) Kuhpocken zu bekämpfen.

Was ist hier zu sehen? Durch die Türe links im Hintergrund drängen Männer und Frauen in den Raum. Ihnen wird zunächst eine Schöpfkelle voll „Opening Mixture“ verpasst, also ein Abführmittel, das ihren Körper auf die eigentliche Maßnahme vorbereiten soll. Anschließend dürfen sie auf dem eleganten Lehnstuhl in der Mitte Platz nahmen. Ein auffällig unbeteiligt vor sich hin blickender Herr in braunem Rock, der die Züge von Edward Jenner trägt, greift ihren rechten Arm und sticht eine Lanzette hinein, die er vorher mit Impfstoff benetzt hat. Der Impfstoff selbst wird ihm von einem Knaben mit zerlumpter Kleidung in einem hölzernen Melkkübel angereicht. Um die tierische Herkunft der Impflymphe noch weiter zu unterstreichen, trägt der Kübel die Aufschrift „Vaccine Pock hot from the Cow“ (kuhwarmer Pocken-Impfstoff).

Und was geschieht mit den Impflingen, die sich dieser Tortur unterzogen haben? Die von der Kuh stammende Vakzine treibt in ihren Körpern ihr Unwesen und bricht in Form kleiner Kühe an den unterschiedlichsten Stellen hervor. Die Botschaft: Durch das Einbringen tierischer Substanz in den Körper wird der Mensch selbst (zumindest teilweise) zum Tier.

Diese „Vertierungsfurcht“ wird gerne zitiert, wenn die Geschichte der Impfgegnerschaft behandelt wird. Dabei war eben dieser Aspekt für die zeitgenössische Diskussion von eher geringer Bedeutung. Möglicherweise trugen Abbildungen wie die von Gillray dazu bei, dass dieser Angst vor der Vertierung im Rückblick oft zuviel Bedeutung beigemessen wird.

Die Argumente, die damals wirklich eine Rolle spielten, waren von ganz anderer Art: Die Impfung mache gesunde Kinder krank – was gut nachvollziehbar ist, wenn man bedenkt, dass der getrocknete Impfstoff teilweise mit dem Speichel des Arztes aufgelöst wurde. In anderen Fällen erfolgte die Impfung direkt von Kind zu Kind – wobei, wie wir heute wissen, andere Krankheiten übertragen werden konnten. Andere Eltern lehnten die Impfung ihres Kindes ab, weil sie es für zu „kränklich“ hielten, und befürchteten, dass die Impfung das Leben ihres Kindes gefährden würde. Umgekehrt gab es aber auch Situationen, in denen die Eltern froh waren, dass die Pockenepidemie als „willkommener Würgeengel“ eines ihrer vielen Kinder mit ins Jenseits nahm und die von Daseinssorgen geplagte Familie etwas entlastete. Hier war die Impfung gerade wegen ihrer Wirksamkeit nicht gerne gesehen.

Medizinhistorisch besonders interessant war die Vorstellung, dass die Impfung die Ausscheidung des „Blatterngiftes“ verhinde. Um dieses Argument nachvollziehen zu können, müssen wir umdenken: Die Pockenbläschen werden hier nicht als die Folge eines von außen in das Kind eingedrungenen Krankheitserregers verstanden, sondern als „Ausblühen“ und „Ausscheiden“ von krankmachenden Unreinigkeiten oder „Giften“, die sich bereits im kindlichen Körper befinden. Wird dieser Reinigungsvorgang (zum Beispiel durch eine Impfung) unterdrückt, kann dies zu anderen Ausschlagserkrankungen wie Masern oder Windpocken führen oder gar schwere Erkrankungen der inneren Organe nach sich ziehen.

Und dann gab es auch noch Stimmen, die kritisierten, dass die Impfung in den göttlichen Willen eingreife, weil jede Krankheit von einem Christenmenschen geduldig zu ertragen sei. Hier drängt sich die Parallele zur Ablehnung des Blitzableiters auf, von dessen Gegnern ganz ähnliche religiöse Argumente ins Feld geführt wurden.

Die Diskussion um das Für und Wider der Impfung änderte sich mit dem Wandel der medizinischen Konzepte und dem Zuwachs an immunologischem Wissen, doch sie wird bis heute lebhaft geführt – vor allem dann, wenn die Einführung einer Zwangsimpfung im Raum steht. Da war man früher wohl duldsamer: Bereits 1807 führte das Königreich Bayern als erstes Land der Welt den Impfzwang ein. Und das scheinbar ohne größere Widerstände seitens der Bevölkerung – bis auf zwei Regionen, wo der Protest aber wenig der Impfung, als vielmehr der „bayerischen“ Obrigkeit galt: Tirol und Griechenland.

Autorin:
Prof. Dr. Marion Ruisinger
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt'
www.dmm-ingolstadt.de

Literatur:
Ruisinger, Marion: Das griechische Gesundheitswesen unter König Otto (1833-1862). Frankfurt a. Main. 1997, S. 143-156 (= Philhellenische Studien 5)
Wolff, Eberhard: Einschneidende Maßnahmen. Pockenschutzimpfung und traditionale Gesellschaft im Württemberg des frühen 19. Jahrhunderts. Stuttgart 1998 (= Medizin, Gesellschaft und Geschichte, Beiheft 10)
Unterkircher, Alois: „Tyroler! lasset eure Kinder impfen”– Sterblichkeitsverhältnisse und frühe Seuchenprophylase in Tirol am Beispiel der Pocken im 19. Jahrhundert. In: Geschichte und Region 14 (2005), S. 42-69 link

Veröffentlicht am 21.4.2020 als Beitrag für die Galerie Covid-19 & History

 

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