Heilmittel III

Camphora – Cholera und die Homöopathie │ Das aktuelle Pandemiegeschehen lenkt den Blick immer häufiger auf die Frage, welche Seuchen es früher bei uns gab und wie die Gesellschaft damit umgegangen ist. Die Wenigsten dürften erwarten, dass sich zu diesem Thema auch in einer Sammlung zur Homöopathiegeschichte passende Objekte finden lassen. Tatsächlich war für die erst zu Beginn des 19. Jahrhundert durch Samuel Hahnemann (1755-1843) entwickelte Homöopathie die Cholera, die ab 1830 Europa heimsuchte, eine erste große Bewährungsprobe. In diesen Kontext gehört die unscheinbare kleine Arzneimittelflasche, die Gegenstand der heutigen Objektgeschichte sein soll.

In Gebrauch war diese Arzneimittelflasche in der „Homöopathischen Centralapotheke Hofrat Virgil Mayer“ in Bad Cannstatt, allerdings wohl erst im 20. Jahrhundert. 1875 hatte der namensgebende Apotheker Virgil Mayer (1834-1889) eine 1858 eröffnete homöopathische Arzneiwarenhandlung übernommen und diese bis 1881 zu einer homöopathischen Vollapotheke ausgebaut. Insgesamt existierten zu Lebzeiten Samuel Hahnemanns nur wenige Apotheken, welche die von ihm entwickelten speziellen potenzierten Zubereitungen zuverlässig nach seinen Wünschen fertigten. Aus dieser frühen Zeit sind jedoch keine Objekte vorhanden, weswegen das obige Fläschchen als Stellvertreter fungieren soll. Doch was hat dies alles mit der Cholera beziehungsweise der Seuchengeschichte zu tun? Die Antwort gibt der Inhalt des Fläschchens: „Camphora Rubini“ steht in schwarzen Lettern auf dem weißen Etikett.

Der 1755 in Meißen geborene Samuel Hahnemann hatte 1810 die erste Auflage seines „Organon der rationellen Heilkunde“ veröffentlicht und darin seine Therapie nach dem Simile-Grundsatz vorgestellt. Demnach sollten Erkrankungen mit demjenigen Wirkstoff behandelt werden, der bei einer Arzneiprüfung am Gesunden Erscheinungen hervorruft, die den Symptomen möglichst ähnlich sind, an denen der Betroffene leidet. Darüber hinaus war Hahnemann durch eigene Versuche über die Zeit hinweg zu der Erkenntnis gekommen, dass Arzneimittel nicht zwingend in den zu seiner Zeit üblichen hohen Dosen verabreicht werden müssten. Demgegenüber reduzierte er in verschiedenen Experimenten schrittweise die Konzentration der verabreichten Wirkstoffe. Dies geschieht durch eine Verdünnung oder Verreibung, dem so genannten „Potenzieren“, wobei die niedrigen Potenzstufen den Arzneistoff noch in nachweisbaren Dosen enthalten. Von Beginn an stieß Hahnemann mit seiner Lehre auf Widerspruch.

Ab 1830 erreichte eine bis dahin unbekannte tödliche Seuche, die Cholera, von Indien in mehreren verheerenden Seuchenwellen fast alle europäischen Länder. Diese trafen die Bevölkerung nahezu unvorbereitet, da geeignete medizinische Gegenmittel kaum zur Verfügung standen. Die zeitgenössische „schulmedizinische“ Behandlung der Erkrankung, welche noch stark von humoralpathologischen Überlegungen geprägt war, bestand in erster Linie in Aderlässen sowie Gaben von Opium und Calomel, einer Quecksilberverbindung. Zudem wurde den Kranken das Trinken von Wasser verboten. Bei diesen ausleitenden und den Körper schwächenden Maßnahmen ist es kaum verwunderlich, dass die Sterblichkeit an der Cholera bei dieser Behandlungsweise sehr hoch war.

Hahnemann selbst hatte sich ab 1831 in mehreren Schriften für eine homöopathische Therapie der Cholera eingesetzt. Sein Mittel der Wahl war „Camphora“ als Kampferspiritus und dies sogar in recht niedrigen Dosierungen - ein Vorgehen, das bei seinen Schülern teilweise Kritik hervorrief. Dennoch, hier schließt sich der Kreis zu dem vorgestellten Objekt!

Das Fläschchen enthielt ursprünglich den Wirkstoff allerdings in einer etwas anderen Aufbereitung, nämlich als „Camphora Rubini“, wobei dem Mittel Kognak beigegeben ist, was die rötliche Färbung erklärt. In den späteren Stadien der Erkrankung erkannte Hahnemann in deren Symptomen Kennzeichen der Mittel „Veratrum album“ (Weiße Nieswurz), „Rhus toxicodendron“ (Giftsumach), „Arsenicum album“ (weißes Arsen) sowie „Cuprum metallicum“ (metallisches Kupfer), welche daher ebenfalls bei der Behandlung eine entscheidende Rolle spielten. Und dies mit Erfolg: Die nach diesem Prinzip vorgehenden homöopathischen Krankenhäuser und Ärzte hatten weniger Choleratote zu beklagen als die „allopathische“ Konkurrenz.

Der sich aus dem überlieferten statistischen Material empfehlende Schluss, dass diese günstigen Ergebnisse allein auf die homöopathische Behandlung zurückzuführen seien, ist allerdings nicht zulässig. Gleichwohl ist der Umkehrschluss, dass allein die Unterlassung der zeitgenössischen „schulmedizinischen“ Therapie die besseren Heilungsquoten erklärt, wohl ebenso wenig zutreffend. Denn es bleiben verschiedene Faktoren, die möglicherweise für den Erfolg der Homöopathie gesorgt haben, die aber anhand der Quellenüberlieferung nicht mehr klar voneinander zu trennen sind. So können wir im Nachhinein keine Aussage mehr über den tatsächlichen Zustand der Betroffenen sowie ihre gesundheitliche Verfassung vor der Erkrankung („Vorbelastung“) treffen; vielleicht haben sich auch die Aufnahmekriterien in den jeweiligen Krankenhäusern unterschieden. Ferner gehört zu diesen Wirkfaktoren die zusätzliche Gabe von frischem Quellwasser. Davon abgesehen, lässt sich trotz allem eine Wirkung der homöopathischen Medikamente, insbesondere des Kampferspiritus in der niedrigen Dosierung, nicht gänzlich von der Hand weisen. Diese könnten beispielsweise die Behandlungsdauer verkürzt und somit zu einer schnelleren Genesung beigetragen haben. Insgesamt war das therapeutische Vorgehen mit den homöopathischen Arzneien damals jedenfalls wesentlich schonender, weswegen die homöopathischen Krankenhäuser erheblich geringere Sterblichkeitsraten aufwiesen.

Unabhängig von den beobachteten Behandlungserfolgen der Homöopathie bei der Cholera, machte es auf die Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts zudem Eindruck, dass die homöopathischen Ärzte bezüglich ihres therapeutischen Vorgehens weitgehend einig waren. Vielfach war der Anschein entstanden, dass die „allopathischen“ Ärzte lediglich über die Natur der Krankheit stritten, aber keine wirksame Behandlung präsentieren konnten. Insofern förderte die Cholera ab 1830 die Verbreitung der Homöopathie in besonderem Maße und trug zu deren zunehmender Bekanntheit bei. Entsprechend groß war die Nachfrage nach den genannten Mitteln.

Diese Wirkstoffe wurden bei jeder weiteren Welle der Cholera in den homöopathischen Publikationen empfohlen. Bei der vorerst letzten verheerenden Epidemie in Hamburg 1892 berichteten zwei Hamburger Apotheken, dass sie mehr als 9.000 Flaschen „Camphora Rubini“ für die Behandlung von Choleraerkrankten abgegeben hätten. Dennoch machte sich im ausgehenden 19. Jahrhundert auch Ernüchterung breit, da man feststellen musste, dass die Krankheit allein mit homöopathischen Wirkstoffen nicht gänzlich besiegt werden konnte und dass, einem Bericht in der „Leipziger Populären Zeitschrift für Homöopathie“ von 1892 zufolge, „die Heilung Cholerakranker nicht bloß von Arzneien allein abhängig“ sei. Wesentlich schien es zusätzlich, die Ausbreitung des Erregers soweit als möglich zu verhindern und entsprechende Schutzmaßnahmen vorzunehmen - ein Vorgehen, das auch in der aktuellen Situation mit Händewaschen, Desinfektion und „social distancing“ verfolgt wird.

Autorin:
Dr. Marion Baschin
Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung
Straußweg 17
70184 Stuttgart
www.igm-bosch.de

Literatur:
- Robert Jütte: Samuel Hahnemann. Begründer der Homöopathie. München 3. Auflage 2007
- Karl-Friedrich Scheible: Hahnemann und die Cholera. Heidelberg 1994
- Leipziger Populäre Zeitschrift für Homöopathie 23 (1892), S. 159-160; 24 (1893), S. 18-20

Veröffentlicht am 15.4.2020 als Beitrag für die Galerie Covid-19 & History

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