Feiern I

Trinkglas auf das Ende der Cholera-Epidemie in Leipzig 1837 | An diesem von der Pandemie überschatteten Osterwochenende ist vielen wohl nicht zum Feiern zumute. Dennoch möchten wir heute ein Objekt vorstellen, das eine solche Verbindung herstellt, das die Brücke schlägt vom einsamen Krankenbett zum gemeinsamen Feiern mit Freunden.

Das knapp 12 cm hohe, elegante Trinkglas aus Bleikristall liegt schwer in der Hand. Die ovale, rubinrot hinterlegte Bildfläche gibt den Blick frei in ein einsames Krankenzimmer. In dem Bett liegt ein Mann mit geöffnetem Mund. Ringt er nach Luft? Oder formt er vielleicht gerade die Worte, die in die Bildfläche eingraviert sind? „Schlagt die Thüre ein!“ Dieser Wunsch ist bereits in die Tat umgesetzt: Die Zimmertüre ist im oberen Bereich zertrümmert, der Hammer liegt noch davor auf dem Boden. Was hält den Mann in seiner Stube gefangen? Gegen welche feindliche Macht versucht er anzukämpfen? Die Zeilen unter der Szene geben darauf eine Antwort: „Die Cholera und alle Schwerenoth / Find in dem Glase schnellen Tod! / Leipzig d. 16. October / 1837“.

Die sogenannte 2. Cholera-Pandemie hatte 1831 den deutschsprachigen Raum erreicht. Innerhalb weniger Jahre wurden fast alle europäischen Länder von Seuchenwellen heimgesucht. Erst Ende 1837 verschwand die Cholera wieder aus Europa. Aus dieser Zeit stammt das Trinkglas, das dazu ermutigt, die – lange aus Angst vor Ansteckung verschlossenen – Türen einzuschlagen und wieder Kontakt aufzunehmen mit der Außenwelt.

Das Glas erlaubt aber noch eine zweite Lesart: Der Trinkspruch, der sich vordergründig als ein Aufbäumen gegen das Joch der Cholera zu verstehen gibt, könnte auch vom Geist der Revolution getragen gewesen sein. Dann wären es nicht die Schreckenstage der Cholera, denen man die Türe weisen möchte, sondern die restriktiven politischen Verhältnisse in den Jahren des Vormärz.

Und schließlich gibt es noch eine dritte Perspektive, unter der sich das Glas betrachten lässt: seine eigene Ding-Geschichte. Immerhin ist es rund 180 Jahre alt und hätte damit (wenn es denn sprechen könnte) sicherlich einiges zu erzählen. Man scheint pfleglich mit ihm umgegangen zu sein. Es weist keine Schramme oder gar Bruchstelle auf. Durch wessen Hände das Glas in all den Jahren gegangen ist, entzieht sich aber leider unserer Kenntnis. In der Objektdatenbank findet sich kein Vermerk zu seinem Vorbesitzer oder seiner Herkunft.

Doch auch in einem Museum gibt es eine gewisse „Legendenbildung“. Und dieser mündlichen Überlieferung zufolge wurde das Glas einst von Heinz Goerke, Gründungsdirektor unseres Hauses und Ordinarius für Geschichte der Medizin an der LMU, dem Museum übergeben. Er habe es, so die Erzählung, in Berlin entdeckt, und zwar beim Pförtner der Charité, der das Glas zum Trinken benutzte. Man kam ins Gespräch und der Pförtner übergab Goerke das Glas für die Ingolstädter Sammlung. Mit dem Glas hielt auch die Spekulation Einzug, dass es sich dabei um ein Relikt der medizinhistorischen Sammlung des Kaiserin-Friedrich-Hauses in Berlin handeln könne, die in den Jahren nach 1945 verloren gegangen ist.

Autorin:
Prof. Dr. Marion Ruisinger
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt
www.dmm-ingolstadt.de

Literatur:
Hammerstein, Jürgen: Kaiserin-Friedrich-Stiftung: 100 Jahre im Dienste der Fortbildung. In: Deutsches Ärzteblatt 101 (2004), S. A-914. link 

Veröffentlicht am 11.4.2020 (Ostersonntag) in der Galerie Covid-19 & History

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