Diagnosestellung

Holzschnitt mit Darstellung einer Lepraschau aus dem Jahr 1517 | Fieber und trockener Husten – zu normalen Zeiten sind das wenig beachtete Symptome. Derzeit ist das anders. Sofort steht die Frage im Raum, ob es sich dabei „nur“ um eine Erkältung oder aber um eine Infektion mit dem neuen Corona-Virus handelt. Ein Abstrich aus Nase oder Rachen schafft Gewissheit. Ist er „positiv“, bekommen die Beschwerden einen Namen: Covid-19. Das Stellen dieser Diagnose hat weitreichende Konsequenzen: Quarantäne zuhause oder – bei stärkerer Beeinträchtigung – die Aufnahme in eine Infektionsstation. Diese Maßnahmen zielen vor allem auf Eines: den Schutz der Gesunden vor Ansteckung.

Wer glaubt, dieses Prinzip sei eine Errungenschaft der modernen Mikrobiologie, der täuscht sich. Für die Trennung von „gesund“ und „krank“ gibt es ein geradezu klassisches Beispiel, das zurückführt bis in biblische Zeiten: die Lepra. Im Alten Testament (Buch Levitkus) steht geschrieben: „Wer nun aussätzig ist, soll zerrissene Kleider tragen und das Haar lose und den Bart verhüllt und soll rufen: Unrein, unrein! Und solange die Stelle an ihm ist, soll er unrein sein, allein wohnen, und seine Wohnung soll außerhalb des Lagers sein.“ Die Lepra war eine „gefährliche“ Erkrankung, der allzu enge Kontakt mit Leprosen mithin zu meiden. Dieses Gebot war auch für die Gesellschaft der Vormoderne noch bindend. Dafür aber musste man wissen, wie man die Lepra und damit die Leprosen überhaupt erkennt!

Aufschluss darüber gibt der Straßburger Wundarzt Hans von Gersdorff in seinem 1517 erschienen „Feldbuch der Wundarzney“. Auf etwa 200 Seiten fasste er den Stand der Chirurgie seiner Zeit zusammen. Ein eigenes Kapitel zur Lepra schließt den Band ab. Aus diesem Abschnitt stammt der hier gezeigte Holzschnitt mit der Textzeile: „Blut, harn, knoll, drüßen, glyderfül / Des otems gstanck, und zeychen vil / Fürwor red ich, die zöigen an / Dz dißer sey ein maltzig [lepröser] man.“

Die Lepraschau oder, wie sie hier genannt ist, die „Besehung der vßetzigen“, wurde in der Regel eingeleitet, weil bei der Obrigkeit eine Anschuldigung gegen die betreffende Person eingegangen war. Es war ein recht aufwendiges Verfahren. Dies geht schon daraus hervor, dass gleich vier „Experten“ (stehend und mit Kopfbedeckung, während die zu schauende Person sitzend und ohne Kopfbedeckung abgebildet ist) nötig waren, um sie ins Bild zu setzen. Gut erkennbar sind auch die großen Fenster rechts oben: Es musste hell sein, damit den Augen der Schauer keine Kleinigkeit entging – das wurde in diesem Zusammenhang immer wieder betont. Gersdorff gibt im begleitenden Text Anweisungen zu aufwendigen Untersuchung des Blutes und des Harns, zur genauen Beobachtung veränderter Stellen auf der Haut (Knollen, Drüsen, Gliederfülle) und des Geruchs (des otems gstanck).

Wichtiger noch als die diagnostischen Details waren die Konsequenzen des Testverfahrens. Das Urteil der Schauer wurde üblicher Weise eigens als „Schaubrief“ ausgefertigt und besiegelt. Es war ein amtliches Dokument, mit dem das Leben der geschauten Person unter Umständen vollständig geändert wurde. Wenn die Experten auf „Lepra“ erkannten, so lautete die Formulierung im Schaubrief, die Person sei „unrein“ („immundus“) und von der Gemeinschaft abzusondern. Sie hatte ihre bürgerliche Existenz mit Familie, Nachbarschaft und Zunftzugehörigkeit aufzugeben und ihr Leben in einem Aussätzigenhaus zu führen. Das Gutachten der Ärzte führte in diesem Fall also nicht, wie bei anderen gesundheitlichen Beschwerden, in erster Linie zu einer Therapie, sondern zu Maßnahmen, die von obrigkeitlichen, im Zweifel polizeilichen Instanzen durchgesetzt wurden.

Autor/in:

Prof. Dr. Fritz Dross
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Prof. Dr. Marion Maria Ruisinger
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt

Literatur:
- Hans von Gersdorff: Feldbuch der Wundtartzney. Straßburg 1517. Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek Online lesen
- Fritz Dross: Seuchenpolizei und ärztliche Expertise: Das Nürnberger „Sondersiechenalmosen“ als Beispiel heilkundlichen Gutachtens. In: Carl Christian Wahrmann, Martin Buchsteiner, Antje Strahl (Hg.), Seuche und Mensch. Herausforderung in den Jahrhunderten. Berlin 2012, S. 283–301
- Annemarie Kinzelbach: „an jetzt grasierender kranckheit sehr schwer darnider“. „Schau" und Kontext in süddeutschen Reichsstädten der frühen Neuzeit. In: Carl Christian Wahrmann, Martin Buchsteiner, Antje Strahl (Hg.), Seuche und Mensch. Herausforderung in den Jahrhunderten. Berlin 2012, S. 269-282 

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