Diagnosestellung IV

Lumbalpunktionsbesteck zur Untersuchung des Nervenwassers | Corona-Viren befallen nicht nur die Lunge. Sie können auch in das zentrale Nervensystem eindringen. Das ist einer Presseinformation der Deutschen Gesellschaft für Neurologie vom 9. April 2020 zu entnehmen, weitere Meldungen folgten. Den bisher besten Beweis dafür lieferte jüngst ein Forscherteam in Japan: Sie fanden Anteile des SARS-CoV-2, nämlich die RNA des Virus, nach einer Punktion des Rückenmarkskanals im Nervenwasser (Liquor) eines Erkrankten. Diese sehr klare Flüssigkeit wird in den Hirnkammern gebildet und umspült Gehirn und Rückenmark.

Schon die normale Covid-19-Diagnostik verlangt den Kranken oft viel ab. Lange Wattestäbchen werden bis zum Würgereiz in den Rachen vorgeschoben oder unangenehm tief in die Nasenlöcher eingeführt. Ungleich erschreckender ist aber der Anblick der Nadeln (Kanülen), die für eine Liquorentnahme verwendet werden. Sie können über zehn Zentimeter lang sein und einen Innendurchmesser (Kaliber) von über einem Millimeter aufweisen. Gut, dass die Kranken den Verlauf der Punktion nicht selbst sehen können. Tief unten am Rücken wird die Nadel eingestochen. Vielleicht eine „Quincke-Hohlnadel“ wie in unserem Beispiel? Die Nadeln sind hier als Teil eines Lumbalpunktionsbestecks, wie es um 1930 üblich war, in einem sterilisierbaren Metalletui verwahrt. Ein dünner Draht (Mandrin) verstopft zunächst die Hohlnadel und wird erst herausgezogen, wenn die Kanüle den Zielort erreicht hat. Dann tropft langsam am Ende der Nadel das Nervenwasser in die darunter gehaltenen Reagenzgläser.

Der Kieler Internist Heinrich Irenaeus Quincke (1842–1922) hat als Erfinder der Methode schon Ende des 19. Jahrhunderts solche Punktionen durchgeführt. Der nach ihm benannte „Quincke-Schliff“ resultiert in einer schräg angeschliffenen Kanülenspitze. Solche Kanülen werden noch heute – neben anderen – für diese Untersuchung angewandt. Sie stehen in unterschiedlichen Längen und Dicken zur Verfügung. Quincke stellte die von ihm entwickelte Lumbalpunktion auf dem 10. Kongress für Innere Medizin 1891 in einem Vortrag vor. Demnach setzte er sie zunächst therapeutisch ein. Er wollte durch das Abzapfen von Nervenwasser den Druck auf das Gehirn mindern, beispielsweise bei einem drohenden Wasserkopf (Hydrocephalus), bei dem der stetig produzierte Liquor nicht richtig abfließen kann. Aber schon bald diente auch ihm das frisch gewonnene Nervenwasser zum Nachweis von Krankheitserregern.

Beim Gesunden ist der Liquor keimfrei (steril). Wenn eine Infektionskrankheit das Gehirn oder die Hirnhäute befällt, ändert sich das. Dann können auch im Nervenwasser die Erreger oftmals nachgewiesen werden. Bei den Ende des 19. Jahrhunderts boomenden Volksseuchen Tuberkulose und Syphilis war das der Fall. Sie verursachten nicht selten eine Hirnhautentzündung. Der konkrete Nachweis von „Tuberkel“- oder „Syphilis-Bacillen“ deckte die Ursache für die neurologische Symptomatik auf. Entsprechende Rückschlüsse boten aber auch Trübungen des Nervenwassers als Hinweis auf eine stark erhöhte Anzahl von Immunzellen („Eiterzellen“) oder Einblutungen sowie Art und Menge der im Liquor enthaltenen Zucker und Eiweiße.

Die Untersuchung einer anderen wasserklaren Flüssigkeit, der Lymphe, stand übrigens am Beginn des Faches, dessen Vertreter aktuell weltweit im Vordergrund stehen: der Virologie. Die Bakteriologen Friedrich Loeffler (1852–1915) und Paul Frosch (1860–1928) entdeckten durch geduldige Filtrierversuche von Lymphflüssigkeit 1898 den bei Paarhufern vorkommenden Erreger der Maul- und Klauenseuche. Auch wenn sie dieses winzige Virus nie zu Gesicht bekamen, vermuteten sie, dass es etwas geben muss, das kleiner ist als ein Bakterium, aber dennoch in der Lage ist, Menschen erkranken zu lassen. Mit verbesserten Labortechniken, der Erfindung des Elektronenmikroskops und später auch der Etablierung der Genetik ist es uns heute möglich, Viren im Liquor nachzuweisen. Wenn nicht die kompletten Viren selbst, oft zumindest Bestandteile ihres Erbgutes oder die gegen sie gerichteten spezifischen Antikörper. Neben SARS-CoV-2 trifft dies auch für Masern-, Mumps-, Röteln-, Poliomyelitis- und Grippe-Viren etc. zu.

Autorin:
Dipl.-Biol. Beate Kunst
Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité
Charitéplatz 1
10117 Berlin
www.bmm-charite.de

Literatur:
Quincke, Heinrich: Die Lumbalpunction des Hydrocephalus. In: Berliner Klinische Wochenschrift 38 (1891), S. 929–933
Steffen, August: Ueber einige wichtige Krankheiten des kindlichen Alters. Tübingen 1895, S. 96

Internetquelle:
Deutsche Gesellschaft für Neurologie: SARS-CoV2 kann Hirnhautentzündungen hervorrufen. Pressemeldung vom 9.4.2020 link

Veröffentlicht am 28.4.2020 als Beitrag für die Galerie Covid-19 & History 

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