Beten II

Der heilige Rochus in Venedig, Nürnberg und Ingolstadt | Die Ostertage 2020 werden uns alle als das „Ostern ohne Kirche“ in Erinnerung bleiben. Wo sich sonst in der Osternacht oder am Ostersonntag die Menschen versammeln, um gemeinsam die Auferstehung zu feiern, herrscht jetzt Versammlungsverbot. Ostern 2020, das findet im kleinsten Kreis und im virtuellen Raum statt, und in Form von Osterspaziergängen zu zweit oder mit der Familie – wobei das Ziel des Spaziergangs durchaus auch eine Kirche sein darf. Gerade wenn man mit Kindern unterwegs ist, kann das eine gute Idee sein, denn hier gibt es oft mehr zu entdecken als draußen auf der Straße. In katholischen (und vielen aus vorreformatorischer Zeit stammenden protestantischen) Kirchen bieten die Heiligenfiguren viel Stoff zum Suchen und Rätseln. Haben Sie zum Beispiel schon einmal auf die interessanten Schuhe geachtet, die auf mittelalterlichen Altarbildern zu finden sind? Oder die Tiere aufgespürt, die sich in der Kirchenkunst verstecken? Neben der Taube (für den heiligen Geist) finden sich bei den Heiligen mit etwas Glück auch Bienenkörbe, Fische oder Hunde, ja sogar Schweine...

Die hier gezeigte Figur des Heiligen mit dem Hund steht nicht in einer Kirche, sondern im Depot des Deutschen Medizinhistorischen Museums in Ingolstadt. Sie zeigt den hl. Rochus. Zusammen mit dem hl. Sebastian galt er als wichtigster Fürsprecher in Pestzeiten. Anders als bei Sebastian weist die Vita des Rochus aber nicht nur einen symbolischen Bezug zur Pest auf. So erzählen die nach 1430 entstandenen Acta breviora, Rochus habe auf der Pilgerreise von seiner Heimatstadt Montpellier nach Rom Pestkranke gepflegt und geheilt, darunter auch einen Kardinal. Auf der Rückreise in seine Heimat sei er dann selbst an der Pest erkrankt. Von den Menschen gemieden, genas er durch göttliche Hilfe und den Beistand eines Hundes, der für ihn Brot stahl. Rochus, so die Acta breviora, wurde in Angera am Lago Maggiore als Spion gefangen genommen und starb dort nach fünfjähriger Kerkerhaft.

Aus dieser Erzählung seines Lebens leiten sich die typischen Attribute des hl. Rochus ab: Er wird als Pilger mit Mantel, Hut, Jakobsmuschel und Stab dargestellt, oft begleitet von einem Hund, der einen Laib Brot im Maul trägt (das Brot ist bei der hier gezeigten Figur leider verloren gegangen), manchmal auch mit einem Engel, der seine Wunden salbt. Immer aber lupft der Heilige mit der freien Hand sein Pilgergewand und deutet auf die Pestbeule oder Pestwunde an seinem Bein. An dieser Stelle sind die Rochusdarstellungen medizinisch nicht ganz korrekt: Die Pestbeulen entstanden durch die Vergrößerung der von den Bakterien befallenen Lymphknoten und saßen daher eigentlich in der Leiste. Aus Gründen der Schicklichkeit ließ man sie bei den Darstellungen des hl. Rochus aber immer ein wenig in Richtung Knie wandern...

Im Jahr 1478 wurde die Lebensbeschreibung des Heiligen breiter ausgeschmückt – und dies nicht etwa von einem Kleriker, sondern von dem venezianische Staatsmann und Philosophen Francesco Diedo. Seine Version erzählte, dass Rochus nicht in Angera, sondern unter wunderbaren Umständen in seiner Heimatstadt Montpellier gestorben sein soll. Noch im selben Jahr wurde in Venedig die Scuola di S. Rocco gegründet. Dies war der erste Schritt zum gezielten Ausbau Venedigs als Zentrum der Rochusverehrung. Für die Bevölkerung wurde dadurch angesichts der immer wieder aufflackernden Pestepidemien ein Hoffnungsträger geschaffen. Wenige Jahre später, 1485, kam es zu einer nicht ganz geklärten Translation der Rochusreliquien in die Lagunenstadt, 1489 wurde dort eine weitere Bruderschaft gegründet, die Scuola Grande di S. Rocco.

Für den deutschsprachigen Raum wurde das vorreformatorische Nürnberg zum Mittelpunkt des Rochuskultes. 1484 beging man hier den Festtag des Heiligen, den 16. August, bereits in feierlicher Form. Ihren Weg von Venedig über die Alpen hatte die Rochusverehrung durch die Nürnberger Patrizierfamilie Imhoff gefunden, die im Fondaco dei Tedeschi in Venedig eine Handelsniederlassung besaß. Dass die Imhoffs mit dem aufblühenden Rochuskult eng vertraut waren, geht schon daraus hervor, dass Franz Imhoff selbst der Scuola Grande di S. Rocco angehörte, wo er zudem neue Formen einer selbstbewussten Laienfrömmigkeit kennenlernte.

Durch das Nürnberger Pestjahr von 1483/84 dürften die Imhoffs die Pest auch aus eigener Anschauung gekannt und zugleich von ihr profitiert haben, denn in Pestzeiten stieg die Nachfrage nach Räucherwerk, aromatischen Gewürzen und Safran. All diese Faktoren mochten dazu beigetragen haben, dass Peter Imhoff d.Ä., der Bruder des oben erwähnten Franz, 1485/90 in seiner Heimatstadt einen Altar mit Pfründstiftung und Heiligenfest für den heiligen Rochus stiftete, ein Meisterwerk der Spätgotik, das heute noch an seinem alten Platz im rechten Seitenschiff der Nürnberger Lorenzkirche steht. 1520 errichteten die Imhoffs zudem auf dem neu eröffneten Rochusfriedhof eine Familiengrablege, die St. Rochus-Kapelle. Der Pestheilige war zum „Firmenheiligen ihrer Welthandelsfirma“ geworden.

Wenige Jahre später hielt die Reformation Einzug in Nürnberg. Ihr geistliches Haupt war Andreas Osiander, der als Prediger an St. Lorenz gegen die „alten lugenbilder“ wetterte, die noch aus der „abgötterey im Bapstum“ stammten. Er schlug dem Rat der Stadt vor, die Kirchen von den „Lügenbildern“ und den Nebenaltären zu säubern. Doch Osiander konnte sich damit nicht durchsetzen, in Nürnberg kam es nie zu einem Bildersturm. Auch der Rochusaltar blieb erhalten – vielleicht durch den Einfluss seiner mächtigen Beschützer, der Imhoffs, vielleicht auch durch die unvermindert starke Verehrung, die man dem Heiligen bei Pestepidemien entgegen brachte. Die neue Lehre war offensichtlich nicht in der Lage gewesen, die alten Ängste der Gläubigen zu vertreiben. Die Nürnberger vertrauten in Seuchenzeiten weiterhin auf die Hilfe ihres heiligen Rochus. Und dies sogar noch im 19. Jahrhundert, als die Cholera Nürnberg heimsuchte und die Rochusverehrung in der protestantischen Stadt einen ungeahnten Aufschwung erlebte...

Autorin:
Prof. Dr. Marion Ruisinger
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt
www.dmm-ingolstadt.de

Literatur:
- Ruisinger, Marion / Dross, Fritz: Krisenzeiten. Pest, Lepra und ihre Patrone. In: Marion Ruisinger (Hg.): Heilige und Heilkunst. Katalog zur Ausstellung. Ingolstadt 2009, S. 23-28 (=Kataloge des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt 33) link zur pdf

Veröffentlicht am 10.4.2020 (Karfreitag) als Beitrag für die Galerie Covid-19 & History

Anatomiestraße 18 – 20 · 85049 Ingolstadt · (0841) 305-2860 · Fax -2866 · E-Mail: dmm@ingolstadt.de