Prävention I

Karikatur auf die zahllosen Ratschläge zur Krankheitsabwehr, die während der Cholera-Epidemie 1831/32 grassierten | Wir erleben gerade, wie fragwürdige Spekulationen über die Herkunft der Covid-19 Erkrankung und nicht weniger fragwürdige Empfehlungen zum Schutz vor der Infektion als „digitale Kettenbriefe“ viral gehen. Noch nie zuvor konnten sich Informationen mit einer solchen Geschwindigkeit und Reichweite verbreiten, wie uns das die elektronische Massenkommunikation via Internet, E-Mail und social media ermöglicht. Und noch nie war die Qualität und Zuverlässigkeit der Informationen für die Empfänger so schwer einzuschätzen wie heute.

Mit einer gewissen Einschränkung im Hinblick auf die Dynamik des Phänomens finden sich aber auch hierfür Vorläufer. Blicken wir zurück auf die Jahre 1831/32, als sich erstmals die Cholera, von Asien kommend, in Europa ausbreitete. Die Erkrankten entwickelten starke Durchfälle. Viele von ihnen starben an den massiven Flüssigkeitsverlusten. Angst breitete sich aus – und mit ihr zahllose Ratschläge und Empfehlungen, wie man sich zu verhalten habe, um die unheimliche neue Krankheit abzuwenden. In Deutschland gab es ein sehr gut entwickeltes Pressewesen, das diese Nachrichten bereitwillig verbreitete. Aber es gab auch scharfzüngige Beobachter ihrer Zeit, die genau dieses Phänomen aufs Korn nahmen.

Einer von ihnen war der österreichische Schriftsteller, Journalist und Satiriker Moritz Gottlieb Saphir (1795-1858). Er erlebte die Choleraepidemie in München – und karikierte die grassierende Choleraangst in seiner 1831 gegründeten Zeitschrift „Der deutsche Horizont“ in Wort und Bild: So entstand die Figur der „Cholera-Praeservativfrau“, einer biedermeierlich gekleideten Dame, die alles am Leibe trägt, was damals zur Abwehr der Cholera empfohlen wurde. Die Erläuterung lieferte Saphir gleich mit:

„Ueber Flanellbinden einen kupfernen Brustfleck, ein Mieder aus Gummi Elasticum. Ueber dem Kleide einen Gürtel von kleinen Ziegelsteinen, mit einer hintennach fliegenden Schleife aus Wachstaft. Unterbeinkleider am Fuße dreidoppelt mit Kräutersäckchen garnirt. Schuhe und Ueberschuhe mit Wärmflaschen. In großen runden Gigot-Ermeln (1) hat sie Tücher, Flanelwollen, Bürsten, Sandsäcke u.s.w. eingepackt. Um den Hals ein Collier aus Salzsteinen und Pfefferkörnern. In den drei Haarflechten hat sie Essigflaschen, Chlorkalk, Töpfe und Suppentassen stehen. Oben an der Spitze eine kleine Windmühle, um die Luft zu reinigen. In den Ohren Gehänge von Zwiebeln und kleinen Knoblauch, woran als Stein Sevigné (2) ein Kampferfläschchen. Ein Band, welches unter dem Kinn zugebunden wird aus Wacholterbeeren und Parfümflaschen. In der einen Hand ein Körbchen mit einem oekonomischen Feuerheerd, Ziegeln, Wasserkrügen u.s.w. In der andern Hand einen aufgespannten Sonnenschirm mit einem Wacholderzweige, kleine Säcke mit Chlorkalk hängen an den Fischbeinen und an der Spitze ist eine Nothglocke angebracht. Ihr Schooshündchen läuft hinterher, mit einer Cholera Binde um den Leib, den Schweif mit Fliederzweigen geschmückt, und die Füße in Socken. In dem Munde trägt er einen Querstock, an dessen beiden Enden ein Lavement Apparat (3) und Waschbecken hängen. Um den Hals trägt er eine Kupferplatte mit der Inschrift: Nur keine Furcht!“

Mehr zur Choleraepidemie von 1831/32 gibt es beim Deutschen Historischen Museum

(1) Gigot-Ärmel: Große Puffärmel, auch Keulen- oder Schinkenärmel genannt (nach dem französischen gigot für Hammelkeule)
(2) Sévigné: Vermutlich eine Anspielung auf die selbstbewusste und kunstsinnige Marie de Rabutin-Chantal, Marquise de Sévigné (1626-1696)
(3) Lavement Apparat: Klistierspritze zur Darmreinigung

Autorin:
Prof. Dr. Marion Ruisinger
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt
www.dmm-ingolstadt.de

geschrieben im Homeoffice am 19.3.2020

 

 

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