Trommelfellmassagegerät

Die historischen Gerätschaften in der Dauerausstellung des Deutschen Medizinhistorischen Museums lösen beim Besucher eher gemischte Gefühle aus. Beim Anblick von Zahnreißzangen, Amputationssägen und Schädelbohrern denkt man an die Angst und den Schmerz der damaligen Kranken, an die Todesgefahr, die jede große Operation mit sich brachte. Umso dankbarer ist man beim Museumsrundgang für Objekte, die einen nicht schaudern, sondern schmunzeln lassen. Den Schmunzel-Rekord unter den Museumsdingen darf wohl das hier vorgestellte Trommelfell-Massagegerät für sich beanspruchen.

Was viele Besucher für einen Witz halten, war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein ausgesprochen beliebtes und verbreitetes Verfahren. Das Trommelfell-Massagegerät bietet damit ein sehr anschauliches Beispiel für die Konjunkturen in der Medizin oder, wie Harald Feldmann es 1996 im Titel seines einschlägigen Aufsatzes formulierte, für den „Aufstieg und Niedergang eines vielversprechenden therapeutischen Konzeptes”.

Wie funktioniert das Gerät? Zunächst wird es mit der Schraubzwingenhalterung an einer stabilen Tischplatte so befestigt, dass das gusseiserne Schwungrad frei gedreht werden kann. Mit dem Schwungrad wird ein lederner Treibriemen in Bewegung versetzt, der über eine kleinere Keilscheibe ein verstellbares Exzenterrad antreibt. Eine Hubstange am Exzenter überträgt die Drehbewegung in einer Auf- und Abbewegung auf einen vernickelten Zylinder mit beweglichem Basislager. Zwei versetzt am Zylinder angebrachte Schlauchstutzen liefern über den innenliegenden Kolben einen alternierenden Luftdruck. Auf diese Stutzen sind zwei rote Gummischläuche aufgezogen, die in schwarzen Ohroliven enden. Bei der therapeutischen Sitzung steckt sich der Schwerhörige die beiden Oliven in die Ohren. Dann greift er zur Handkurbel und setzt das Schwungrad in Bewegung. Dies führt zu rhythmischen Luftstößen auf die Trommelfelle. Die Frequenz des Luftaustrittes kann der Patient durch langsameres oder schnelleres Drehen selbst regulieren.

Das Prinzip der Trommelfell-Massage basierte auf der pathophysiologischen Beobachtung, dass Vernarbungen und Verwachsungen im Mittelohr oft die Ursache für Schwerhörigkeit sind. Mit der „Massage“ hoffte man die Versteifungen zu lockern und damit die Schwerhörigkeit zu bessern. Dieser Gedanke wurde bereits 1864 von Emil Siegle (1833–1900) formuliert, aber erst von Charles Destanche (1840–1900), dem „Vater der belgischen Otologie”, in die Tat umgesetzt. Dieser stellte 1885 einen „Masseur du tympan et des osselets” vor, der durch Wechseldruck Hin- und Herbewegungen des ganzen Mittelohrapparates bewirken sollte. Seitdem wurde das Konzept der Trommelfell-Massage kontinuierlich weiter entwickelt.

Eine Wirkung war nur bei wiederholter Anwendung über längere Zeit zu erwarten. Deswegen war es wichtig, technisch einfache und zuverlässige Methoden für die Selbstbehandlung der Patienten zu entwickeln. In der Praxis bewährte sich besonders das von Noebel 1898 in Zittau entwickelte Modell. Neben der hier gezeigten Ausführung mit einer  Handkurbel gab es auch eine Variante, die direkt an das Schwungrad einer mechanischen Nähmaschine angeschlossen und über das Fußpedal der Nähmaschine betrieben werden konnte. Besonders komfortabel war der Betrieb mit einer an die Wasserleitung angeschlossenen Turbine. In der konsequenten Weiterentwicklung der Methode kamen um 1900 die ersten Modelle auf den Markt, die an einen Elektromotor angeschlossen werden konnten.

Der eigentliche Siegeszug der Trommelfell-Massage begann nach dem Ersten Weltkrieg, als die Industrie leicht zu bedienende Geräte zur Verfügung stellte. Sie wurden bald zum unentbehrlichen Bestandteil im Behandlungszimmer einer jeden HNO-Praxis und hielten sich teilweise noch bis weit über die Mitte dieses Jahrhunderts. Heute gilt die Trommelfell-Massage als obsolet. Das einst als großer Fortschritt in der Behandlung der Schwerhörigkeit begrüßte Konzept bringt heute nur noch die Museumsbesucher zum Schmunzeln.

 

Literatur:

Harald Feldmann: Die Trommelfellmassage. Aufstieg und Niedergang eines vielversprechenden therapeutischen Konzepts. Bilder aus der Geschichte der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde dargestellt an Instrumenten aus der Sammlung im Deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt. In: Laryngo-Rhino-Otologie 75 (1996), S. 491–498


Autorin:

Prof. Dr. Marion Ruisinger

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