Trauergedichte

In der Handschriftensammlung des Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt (DMMI) befindet sich ein Konvolut, das für eine medizinhistorische Sammlung auf den ersten Blick ungewöhnlich scheint. Es sind rund 25 handgeschriebene Gedichte aus dem 19. Jahrhundert. Einzelne Exemplare sind nicht nur in Schönschrift verfasst, sondern das Papier in Herzform geschnitten. Schwarze Trauerschleifen verraten ihren Anlass: Eltern beweinen in den Versen den Tod ihres Kindes, eine Pfarrersfamilie spricht Hinterbliebenen ihr Beileid aus und eine junge Schülerin verabschiedet sich von ihrem verstorbenen Lehrer. Es handelt sich um Trauer- und Trostgedichte.

Leider verraten uns die Schriftstücke wenig über die Verstorbenen. Selten sind Namen oder Geburts- und Sterbedaten angegeben, doch die meisten der Trauergedichte wurden anlässlich des Todes eines Kindes verfasst. „So sey denn dem zurük [!] gegeben – Der dich, du holdes Kind uns gab! – Dein Tod ist Übergang ins Leben – Und frühes Heil, dein frühes Grab!“, lauten die Zeilen auf einem Exemplar.

Über körperliche Beschwerden und Todesursachen schweigen die Gedichte. Wir erfahren lediglich vereinzelt, dass die Verstorbenen von einem langen Leiden erlöst oder plötzlich aus dem Leben gerissen wurden. Dennoch sind die Schriftstücke interessant, da sie als Quellen zur Trauerkultur Aufschluss darüber geben, wie Menschen in der Vergangenheit mit dem Tod und dem Verlust geliebter Menschen umgingen.

Die Verse sind keine individuellen tröstenden Worte an Hinterbliebene. Stattdessen griffen die damaligen Verfasser auf bekannte Gedichte, Liedertexte oder Grabinschriften zurück. Gedichte, die aus der Perspektive von Betroffenen den Tod eines Kindes thematisierten, erfreuten sich zwischen 1790 und 1840 großer Beliebtheit beim bürgerlichen Lesepublikum. Sie wurden vor allem in preisgünstigen Gedichtsammlungen und Unterhaltungslektüren, den sogenannten Almanachen, veröffentlicht.

Bei dem vorliegenden Konvolut von Trauergedichten dienten häufig die Verse von Johann Kaspar Lavater (1741 bis 1801) als Vorbild. Lavater war ein Gelehrter und Theologe in der Schweiz und veröffentlichte regelmäßig in verschiedenen Almanachen. Er verfasste nach dem Tod seiner Tochter Luisa mehrere Gedichte, in denen er den Kindstod christlich deutete: Das noch unschuldige und reine Kind sei vom irdischen Leben erlöst und werde sein ewiges Heil bei Gott finden. Die Hinterbliebenen sollten ihren Schmerz mit dem Wissen um das Wohlergehen des Kindes überwinden und wurden mit einem Wiedersehen im Himmel getröstet: „Alles lenkt dein Gott zum Guten. Laß Dein Herz zu lang nicht bluten! Seelig, wie du seelig einst, ist dein Kind, das du beweynst.“ Die Mehrzahl der Autoren griff diese religiöse Sinnstiftung in ihren Trauergedichten auf, wobei es keine großen konfessionellen Unterschiede gab. Auch rund 50 Jahre nach Lavaters Tod wurden seine Gedichte noch an Trauernde geschickt, um ihnen in ihrem Verlust Trost zu spenden.

 

Literatur:
Vorderstemann, Karin: „Nur gestorben bist Du, nicht verloren.“ Kindstotdichtungen in Musenalmanachen und literarischen Taschenbüchern des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Czapla, Ralf Georg: „…euer Leben fort zu dichten.“ Friedrich Rückerts „Kindertotenlieder“ im literatur– und kulturgeschichtlichen Kontext, Würzburg 2016, S. 101–144.

Luginbühl-Weber, Gisela: Lavater, Johann Kaspar, in: Historisches Lexikon der Schweiz, Version vom 27.11.2008. Online: hlsdhs-dss.ch/de/articles/010444/2008-11-27/, konsultiert am 20.06.2022.

Autorin
Daniela Hahn, M.A.

PDF der Objektgeschichte im Bayerischen Ärzteblatt

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