Diese Tätowiermaschine stammt aus einer Zeit, in der die wenigsten Haushalte über elektrischen Strom verfügten. Das Antreiben des in einer verschließbaren Lade verborgenen Schwungrades lief daher nicht elektrisch, sondern mechanisch über einen Fußantrieb – wie bei einer Nähmaschine! Der Schnurantrieb im Rad wandelte die Drehbewegung in eine Hubbewegung um, die wiederum eine im Griffstück steckende Nadel auf und ab schießen ließ. So tätowierte man kunstvolle Bilder, Zeichen oder Symbole nicht nur mit der Hand, sondern auch mit dem Fuß in die Haut!
Die Tätowiermaschine stammt vermutlich aus einer englischen Hafenstadt und wurde wohl im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts konstruiert. Sie gehört damit zur letzten Generation fußbetriebener Geräte.
Um 1900 wurde die erste elektrische Tätowiermaschine in den USA entwickelt und zum Patent angemeldet. Sie war inspiriert von einem Gerät, das Thomas Alva Edison (1847-1931) kurze Zeit zuvor zum maschinellen Gravieren entwickelt hatte: Ein Elektromotor trieb mit hoher Geschwindigkeit eine Nadel, die einer Schablonenplatte folgte, in die Metallfläche und hinterließ das gewünschte Muster – und zwar präzise, seriell und ohne Arbeitspause. Der New Yorker Tätowierer Samuel O´Reilly (1854-1909) sah zufällig eine Vorführung dieses Gerätes, dachte sofort an das „Gravieren“ von Hautflächen und baute Edisons Erfindung dementsprechend um. Fortan war die Welt des Tätowierens nicht mehr dieselbe. Die sogenannte „Tattoo-Gun“ elektrifizierte das Handwerk und beschleunigte das Einbringen der Farbe in die Haut.
In Deutschland soll die Hamburger Tattoo-Legende Christian Warlich (1891-1964) als erster ein solches elektrisches Gerät in seinem „Atelier moderner Tätowierungen“ verwendet haben. Der ehemalige Matrose lernte die Maschine um 1910 bei einem Aufenthalt in New York kennen und brachte sie in die Hansestadt. Zu dieser Zeit gab es dort nur zwei Tätowierer, die ihre Kunden in einem eigenen Laden und nicht auf Zuruf in einschlägigen Gaststätten empfingen. Einer von ihnen war Warlich. Laut einer Studie soll es um 1930 überhaupt nur etwa zwei Dutzend Tätowierer in ganz Deutschland gegeben haben, so viele Studios wie heutzutage in jeder größeren Stadt.
Ein professioneller Tattoo-Artist kann sich heutzutage wohl nur schwer vorstellen, wie man mit diesem Gerät auch nur eine scharf konturierte Linie in die Haut stechen konnte. Moderne Tätowiermaschinen liegen ruhiger in der Hand und setzen die Linien, Schattierungen und Füllungen aufgrund eines leistungsstarken Elektromotors mit bis zu 10.000 Stichen pro Minute sehr viel präziser. Tätowierer*innen verleihen ihr eigenes Instrument übrigens nie, denn wie bei vielen anderen Handwerken bedeutet dies auch im Tätowiergewerbe Unglück. Und dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine simple, mit einem Faden umwickelte Nadel, eine Einzelanfertigung des US-amerikanischen Szenestars Todd Hlavaty oder um einen archaischen Tätowierkamm aus spitz zugeschliffenen Knochen handelt.
Literatur:
Andreas Coenen: Warlich. Finke. Wittmann. Auf den Wegen der Hamburger Tattoo-Tradition. In: Tattoo Kulture Magazine 21 (2017), Heft 4, S. 30-38
Marcel Feige: Ein Tattoo ist für immer. Die Geschichte der Tätowierung in Deutschland, Berlin 2003
Frank Weckert / Todd Hlavaty: Mehr als Tattoo-Maschinen. In: Tattoo Kulture Magazine 19 (2017), Heft 2, S. 48-54
Autor
Dr. Alois Unterkircher