„Ski-Mambo“, „Innenski-Charleston“ oder „Fröhliche Schussfahrt“: Die kreativen Wortschöpfungen der Musikstücke auf der 1977 erschienenen Langspielplatte „Die neue Tele-Ski-Gymnastik“ suggerieren den Zuhörern, dass sie sich mit Hilfe dieses Trainingsprogramms „fit für die Piste“ trimmen könnten. Das Konzept der Platte war einfach: Auf der ersten Seite der LP wurden Ski-Neulinge an die grundlegenden Bewegungsabläufe dieser Sportart herangeführt. Die zweite Plattenseite richtete sich an fortgeschrittene Skifahrer, deren Muskeln, Bänder und Gelenke während der langen Sommerpause eingerostet waren. Mithilfe des musikalischen Potpourris im swingenden Bigband-Sound von Max Greger konnten sie sich jene Kondition antrainieren, die sie für die rasante Abfahrt im frischen Pulverschnee benötigten. So zumindest versprach es der Text auf der Rückseite des Covers: „Skigymnastik heißt vorbeugen und fit bleiben.“
Mit Skigymnastik gegen den Skiunfall
Hinter dem sportlichen Bewegungsprogramm steckte ein Mann namens Manfred Vorderwülbecke. Der geprüfte Sportlehrer und Leiter einer Skischule kam 1966 zum Bayerischen Rundfunk, wo man ihm die Erarbeitung eines neuartigen Fernsehformats mit dem Titel „Skigymnastik“ übertrug. Das Konzept sah 13 Folgen zu je 15 Minuten vor, die rechtzeitig vor der Skisaison beginnen sollten. Die Sendung war ein Publikumshit, erlebte mehrere Neuauflagen und passte sich dabei stets den aktuellen Skitrends an. Ab 1972 erschienen die Übungen der „Tele-Skigymnastik” auch auf Schallplatte. Für die Ausgabe von 1977 gewann man die damals bekannteste deutsche Skirennläuferin als Co-Moderatorin – Rosi Mittermaier. Die Verpflichtung von Mittermaier und der berühmt-berüchtigte „Abfahrtstest“ am Ende jeder Folge, bei dem die Zuschauer zwei Minuten lang in der Abfahrtshocke eine Fahrt über damals angesagte Weltcup-Pisten durchzustehen hatten, machten Sendung und Schallplatte von 1977 zum Straßenfeger – und später zum Kult. Wie aber erklärt sich der Erfolg und die Breitenwirkung einer Fernsehsendung wie der „Tele-Skigymnastik“? Diese Frage führt zur damaligen Bedeutung des Skisports und letztlich zur Diskussion der damit verbundenen Verletzungsrisiken.
Skifahren als Massenphänomen
In den 1960er Jahren war Skifahren für einen Großteil der Bevölkerung zur Selbstverständlichkeit geworden. Das wirkte sich auch auf die Zahl der Skiunfälle aus. Sportmediziner und Unfallchirurgen beklagten, dass immer mehr Menschen auf die Pisten drängten, die wegen der Automatisierung der Arbeitswelt und der Zunahme von sitzenden Tätigkeiten den Anstrengungen des Skifahrens physisch gar nicht mehr gewachsen wären. Zudem machten sie die mechanischen Aufstiegshilfen für die steigende Zahl an Verletzungen verantwortlich. „Da man heute den Skifahrern fast überall mit Seilbahn oder Sessellift entgegenkommt, glauben viele, der moderne Schilauf sei völlig mühelos“, merkte etwa ein Sportmediziner Mitte der 1960er Jahre kritisch an. Die Folge wären schwere Stürze mit Verrenkungen, Zerrungen und Knochenbrüchen.
Ski-Traumatologen begrüßten daher jede präventive Maßnahme zur Verminderung von Unfällen im Wintersport. Skigymnastik war für sie die einfachste und kostengünstigste Unfallprophylaxe. Die gymnastischen Vorübungen versprachen, durch gezielte Kräftigung der Oberschenkelmuskulatur sowie durch Schulung der Geschicklichkeit und der Kondition die Gefahr von Skiunfällen durch Ermüdung oder falschen Reaktionen im Falle eines Sturzes zu minimieren.
Manfred Vorderwülbecke gelang es, die klassische Skigymnastik über neue Medien zu popularisieren. Er vermittelte seine Übungsprogramme nicht mehr in stickigen Turnhallen, sondern via Bildschirm und erreichte so ein viel größeres Publikum. Die als Begleitmedien zur Sendung erscheinenden Schallplatten erlaubten es, vorbereitende Übungen unabhängig von festen Sendezeiten zuhause zu absolvieren. Damit passte die Skigymnastik perfekt in die entstehende Sport- und Freizeitindustrie. Die für die Langspielplatten ausgewählten Gymnastikübungen wurden für die konditionell anspruchsvoller gewordenen Skifahrtechniken entwickelt und machten die Skibegeisterten „für die neuesten sportlichen Schwungformen fit“, so lautete zumindest das Versprechen Vorderwülbeckes auf der Rückseite des Covers. Damit surfte der Sportlehrer geschickt auf der beginnenden Fitnesswelle. Er dockte auch an die „Sport-für-Alle“-Bewegung an, die die Förderung des Breitensports durch entsprechende Programme empfohlen hatte.
Sowohl die Langspielplatte als auch die Fernsehsendung „Tele-Ski-Gymnastik“ aus dem Jahre 1977 standen im Zentrum der Sonderausstellung „Hals und Beinbruch! Fit für die Piste mit Ski-Gymnastik“, die 2023/24 im DMMI gezeigt wurde.
Literatur:
Dieter H. Jütting / Michael Krüger (Hgg.): Sport für alle. Idee und Wirklichkeit. Münster 2017.
[?] Engels: Gefahren des Wintersports. In: Der Winter 51 (1963/64), S. 434f.
Alois Unterkircher (Hg.): Hals- und Beinbruch! Fit für die Piste mit Ski-Gymnastik. Ingolstadt 2023 (Kataloge des DMMI 49)
Erhältlich im Onlineshop
Autor
Dr. Alois Unterkircher