Radium-Trinkgefäß

Im Dezember 1898 entdeckte die Physikerin und spätere zweifache Nobelpreisträgerin Marie Curie (1867-1934) zusammen mit ihrem Ehemann Pierre ein radioaktives Schwermetall. Weil es im Dunkeln leuchtete, nannten sie es „Radium“ (von lat. radius, der Strahl).

Das neue Element erfreute sich wegen seiner Leuchtkraft rasch großer Beliebtheit. Es wurde für die Zifferblätter von Uhren, die Augen von Stofftieren und für Leuchtbildchen verwendet. Dass es durch seine radioaktive Strahlung für den Menschen gefährlich sein könnte, war damals noch nicht bekannt – im Gegenteil, man schrieb dem Radium, das sich auch in den Heilwässern von Kurorten fand, sogar eine gesundheitsfördernde Wirkung zu.  Nachdem 1906 in Böhmen das Radiumbad Sankt Joachimsthal eröffnete, kam es auch in Deutschland zum Aufblühen von Radiumbädern wie Bad Kreuznach, Bad Schlema und Bad Brambach. Radium war gefragt: Man verwendete es zur Herstellung von Medikamenten, Zahnpasta, Seife und Kosmetika, selbst Zwieback und Zigarren wurden mit Radium veredelt.

Der Kuraufenthalt in einem Radiumbad war eine kostspielige Angelegenheit. Wer auch zuhause in den Genuss von radioaktivem Heilwasser kommen wollte, konnte sich ein „Radium-Trinkglas“ anschaffen. Das dekorativ in Überfangtechnik geschliffene, zylindrische Trinkglas aus Bleikristall war in eine Halterung eingestellt, deren Deckel sich mit der oben angebrachten Schraube fest auf das Glas anpressen ließ. Von der Innenseite des Deckels ragte ein Metallstab nach unten in das Glas hinein. An der Spitze dieses Stabes befand sich in einer körbchenartigen Haltevorrichtung das Radium-Präparat. Anstatt in ein Kurbad zu reisen, musste man nur das mit Trinkwasser gefüllte Glas in die Halterung stellen, das Ganze zuschrauben und 24 Stunden stehen lassen. Dann konnte man zur häuslichen Radium-Trinkkur schreiten. Da Radium (Ra) zu Radon (Rn) zerfällt, handelte es sich dabei (wie auch bei den Heilwässern der Kurbäder) genau genommen wohl eher um eine Radon-Trinkkur.

Alternativ konnte man – zumindest in den USA – auch fertig aufbereitetes Heilwasser kaufen, das in kleine Fläschchen abgefüllt war und seit 1918 unter dem Namen „Radithor“ vertrieben wurde. Der Hersteller versprach auf dem Etikett, dass es sich um „Certified Radioactive Water“ handele, das „Radium“ (226Ra) und „Mesothorium“ (228Ra) in dreifach destilliertem Wasser enthalte. Angesichts des relativ hohen Preises dieser Fläschchen war die Radithor-Kur nichts für arme Leute; umso beliebter war sie in gesellschaftlich höher gestellten Kreisen. Die exzessive Verwendung von Radithor durch den bekannten Geschäftsmann und Sportler Eben Byers (1880-1932), der nach dem Konsum von weit über 1.000 Flaschen unter dramatischen Symptomen an einer Radiumvergiftung starb,  führte letztlich auch dazu, dass die Gefahren, die von Radium im Besonderen und von Radioaktivität im Allgemeinen ausgingen, eine größere öffentliche Aufmerksamkeit erhielten.

In Fachkreisen war die gesundheitsschädliche Wirkung von Radium in den USA bereits in den 1920er Jahren erkannt worden: Bei Frauen, die Zifferblätter mit radiumhaltiger Farbe bemalten und die Pinsel dabei mit den Lippen zu spitzen pflegten, entwickelten sich  maligne Tumoren in diesem Bereich. Dieses Krankheitsbild wurde als „Radiumkiefer“ (radium jaw) bekannt.

Angesichts der heute allgemein bekannten Gefahren von radioaktiver Strahlung reagierten wir mit gemischten Gefühlen, als uns 2017 das hier gezeigte Radium-Trinkglas angeboten wurde. Es stammte aus einem privaten Haushalt in der Region, wo es seit Jahrzehnten als dekoratives Erinnerungsstück an eine schon lange verstorbene Tante im Wohnzimmerschrank aufbewahrt wurde. Als sein Besitzer es der Enkelin zum Geschenk machen wollte, befragte diese erst einmal das Internet – und wurde sogleich fündig. Besorgt riet sie ihrem Großvater, sich von dem (möglicherweise radioaktive Strahlung emittierenden) Glas zu trennen, warnte ihn aber zugleich davor, es einfach mit dem Restmüll zu entsorgen. So fiel die Entscheidung, das verdächtig gewordene Glas dem nahe gelegenen Fachmuseum anzubieten. Wir zögerten zunächst, mussten aber befürchten, dass das Radium sonst vielleicht doch in die Mülltonne gewandert wäre. So sagten wir die Übernahme zu und setzten uns gleichzeitig mit dem Bayerischen Landesamt für Umwelt in Augsburg in Verbindung, dessen Mitarbeiter das wohlverpackte Glas bereits am Tag der Übergabe abholten, das Radium fachgerecht entsorgten und uns anschließend das dekontaminierte Glas wieder für unsere Sammlung übergaben. Hier kündet es nun eindrucksvoll davon, wie sorglos früher mit radioaktiven Substanzen umgegangen wurde – und wie schwierig es ist, die Folgen einer neuen Technologie in ihrer ganzen Breite einzuschätzen.

 

Literatur
Ruth Ney: Strahlen für die Gesundheit. 2011. www.aerztezeitung.de/extras/druckansicht/?sid=681511&pid=689344 [Zugriff: 8.1.2019]

Oak Ridge Associated Universities: Radithor. 2009. www.orau.org/PTP/collection/quackcures/radith.htm [Zugriff: 10.2.2019]

Autorin
Prof. Marion Ruisinger

PDF der Objektgeschichte im Bayerischen Ärzteblatt

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