Der in Luxemburg tätige Frauenarzt Henri Kugener (1943–2022) begann 1971 damit, medizinische Gegenstände und Objekte der Krankenpflege zu sammeln. Später machte er seine umfangreiche Sammlung in dem virtuellen „Museum Sybodo“ für alle zugänglich (www.sybodo.de). Anfang 2022 verstarb Henri Kugener, der mit seiner Familie inzwischen in Innsbruck lebte, in Folge eines tragischen Unfalls. Seine Witwe suchte eine neue Bleibe für die Sammlung – und wurde im DMMI fündig. Mit Unterstützung der „Gesellschaft der Freunde und Förderer des DMMI“ konnten die Sammlung und die dazugehörige Bibliothek im März 2023 nach Ingolstadt transferiert werden.
Henri Kugener sammelte nicht nur äußerst kenntnisreich, er dokumentierte auch sorgfältig, wie die verschiedenen Dinge in seinen Besitz gekommen sind. Das macht seine Sammlung für die weitere Forschung besonders wertvoll. Auch die Vorgeschichte dieses Narkosegeräts hat er festgehalten: Als im Jahr 1990 die Anästhesie-Abteilung der Zitha-Klinik in Luxemburg ihr 25-jähriges Bestehen feierte, erhielt der dortige Anästhesist Prosper Kayser (1933-2020) von einem niederländischen Kollegen das historische Narkosegerät als Gastgeschenk. Diese Gabe war mit Bedacht gewählt, war Kayser doch selbst ein passionierter Sammler – das heute sieben Gebäude umfassende „Museum Possenhaus“ in Bech-Maacher/Luxemburg geht auf seine Initiative zurück. Doch Kayser verstand offensichtlich auch die Kunst des „Entsammelns“ – eines der wichtigsten Instrumente der Sammlungspflege! Und so reichte er die medizinische Preziose im August 2014 weiter an Henri Kugener, in dessen Spezialsammlung er sie wohl besser aufgehoben wusste.
Es handelt sich dabei um einen Gebläseapparat nach dem Chirurgen Heinrich Friedrich Wilhelm Braun (1862-1934), den dieser 1897 unter dem Produktnamen „Narko“ auf den Markt brachte. Braun hatte bereits als Student in Leipzig an der chirurgischen Klinik unter Carl Thiersch (1822-1895) Narkosen durchführen dürfen und sich seitdem sehr für diesen Bereich der Chirurgie interessiert. Für die Inhalationsnarkose standen damals zwei Substanzen zur Verfügung: Äther und Chloroform. Beide hatten ihre Vor- und Nachteile: Chloroform wirkte schnell und wurde gut vertragen, führte aufgrund seiner Toxizität aber immer wieder zu tödlichen Narkosezwischenfällen. Äther war weniger gefährlich, wirkte aber langsamer, zog oft starkes Erbrechen nach sich und war zudem leicht brennbar.
Dieser Gebläseapparat ermöglichte es erstmals, beide Gase gleichzeitig zu verwenden und so ihre jeweiligen Vor- und Nachteile günstig zu kombinieren: Vor der Narkose wurden die beiden braunen Glasflaschen mit 120-150 cc Äther bzw. 30-40 cc Chloroform gefüllt. Ein aus zwei Gummiballons bestehendes Doppelgebläse wurde zwischen dem Apparat und der Narkosemaske befestigt. Dann hängte sich der oder die (häufig wurden die Narkosen von Operationsschwestern durchgeführt) Zuständige den Apparat so um den Hals, dass die Hähne nach vorne wiesen. Zu Beginn der Narkose wurden beide Hähne ganz geöffnet und durch das Zusammendrücken des Ballons ein Luftstrom erzeugt, der das Gasgemisch zur Maske beförderte. Nach Eintreten des Toleranzstadiums drehte man den Chloroformhahn zu und ging zur reinen Äthernarkose über. Wenn im Laufe der Operation die Narkosetiefe nachließ, drehte man den Chloroformhahn wieder auf. Die Gebrauchsanweisung verspricht, dass die Narkose sich „nach wenigen Atemzügen wieder so vertieft, dass wieder mit Aether allein weiter narkotisiert werden kann“.
Nach der Narkose wurde der Apparat mitsamt Zubehör wieder in dem dazugehörigen Holzkasten verstaut. So war er jeder Zeit griffbereit, wenn der Chirurg zu einem Kranken gerufen wurde. Denn damals war der Begriff der „ambulanten Operation“ noch anders definiert als heute. Es sollten noch ein paar Jahre ins Land gehen, bis andere technische Einrichtungen wie Röntgenanlagen und Sterilisationsapparate sowie keimarme Operationsumgebungen die Durchführung von Operationen im Krankenhaus auch für wohlhabende Kranke opportun erschienen ließen.
Braun stellte sein Narkosegerät auf dem 30. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie am 11. April 1901 in Berlin vor. Für die Patienten, so Kugener, „brachte es eine bis dahin nicht gekannte Sicherheit bei der Narkose“. Daher waren diese einfach zu bedienenden Apparate bis in die 1940er Jahre im Umlauf. Braun hat sich übrigens auch auf dem Gebiet der Infiltrations- und Leitungsanästhesie verdient gemacht – auf ihn geht u.a. der Zusatz von Adrenalin zum Lokalanästhetikum zurück.
Literatur:
Heinrich Braun: Die Lokalanästhesie, ihre wissenschaftlichen Grundlagen und praktische Anwendung. Ein Hand- und Lehrbuch. 3. Aufl., Leipzig 1913
Henri Kugener: Gebläseapparat n. Braun, link (gesehen 7.10.2025)
Autorin
Prof. Dr. Marion Maria Ruisinger