Moulage

In dieser Serie stellen wir üblicherweise Highlights aus dem Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt vor. Diesmal machen wir eine Ausnahme und zeigen ein Objekt, das derzeit in einem Kunstmuseum zu sehen ist. Der Grund: Das Deutsche Medizinhistorische Museum bekommt einen Erweiterungsbau und ist deshalb seit dem 1. November geschlossen. Das Museumsteam hat aus der Not eine Tugend gemacht und eine gemeinsame Ausstellung mit dem Museum für Konkrete Kunst entwickelt, die dort seit dem 24. Oktober gezeigt wird. Als „connecting link“ zwischen Kunst und Medizin dient Adolf Fleischmann (1892–1968), der als Künstler und Moulagenbildner in beiden Welten zuhause war.

Der aus Esslingen gebürtige Adolf Fleischmann studierte an der Kunstakademie in Stuttgart. Nachdem er seine Ausbildung 1913 beendet hatte, fand er eine Anstellung im Rahmen der Vorbereitungen für die große Gesundheitspflege-Ausstellung, die in Stuttgart im April 1914 eröffnete. Der Erste Weltkrieg machte den Plänen der Stadtväter einen Strich durch die Rechnung – die mit enormen Aufwand geplante Schau wurde schon wenige Tage nach Kriegsbeginn geschlossen, die Ausstellungshallen in Lazarette umgewandelt. Doch für den jungen Grafiker sollte die Mitarbeit an dem Projekt die Weichen fürs Leben stellen: Er lernte dort die neun Jahre ältere Lotte Volger (1883–1956) kennen, eine Moulagenbildnerin aus Berlin. Dies war seine erste Begegnung mit den faszinierenden medizinischen Wachsbildern, die direkt am Patienten abgeformt wurden.

Fleischmann erlitt 1915 an der Ostfront bei einer Explosion schwere Verbrennungen und kehrte, aus dem Kriegsdienst entlassen, nach Stuttgart zurück. Im Frühjahr 1917 ging er zusammen mit Lotte Volger nach Zürich. Volger blieb dort für den Rest ihres Lebens und baute die Moulagensammlung der Dermatologischen Klinik auf. Fleischmann lernte von ihr die Technik der Moulagenherstellung und war zehn Jahre lang für Paul Clairmont (1875–1942), den Direktor der Chirurgischen Klinik, als Mouleur tätig. Hier baute er eine weltweit einzigartige Sammlung von rund 500 Moulagen mit vorwiegend chirurgischen Krankheitsbildern auf. Neben unterschiedlichen Ausformungen von Knochen- oder Gewebstuberkulose finden sich darunter Strumen, Ulcera, Karzinome, Narbenbildungen, in Fehlstellung verheilte Frakturen und vieles mehr. In der Gesamtschau spiegeln sich darin sowohl das Diagnosespektrum der damaligen Zeit als auch das Forschungsinteresse von Paul Clairmont und seinen Mitarbeitern. Bei einer Gruppe von Moulagen wird dies besonders augenfällig: den Starkstromverletzungen.

Hans Jaeger, Assistenzarzt der Klinik, hatte die Starkstromverletzungen zu seinem Forschungsgegenstand erkoren. Diese neue Art von Verletzungen gewann damals, so Jaeger, „für die Schweiz eine besondere Aktualität,” die durch den Reichtum an Wasserkraft dazu prädestiniert sei, ein „elektrisch betriebenes Land” zu werden. Doch aus der „Ubiquität der elektrischen Anlagen”, ergäbe sich auch „die Ubiquität der elektrischen Gefährdung”. Hier setzte Jaeger an: Er führte Risikoanalysen durch, untersuchte die pathogene Wirkung von elektrischem Strom auf lebendes Gewebe, dokumentierte die Krankengeschichten von Stromopfern und entwickelte daraus Therapieempfehlungen. Zur Illustration von Publikationen, zur Veranschaulichung von Vorträgen und natürlich auch für die studentische Lehre entstanden im Rahmen dieses Forschungsprojektes ausgesprochen eindrucksvolle Moulagen von Starkstromverletzungen.

Die hier gezeigte Moulage umfasst einen ungewöhnlich großen Körperausschnitt, um sowohl die Befunde im Bereich der Schulterblätter als auch die ausgedehnte Nekrose in der linken Scheitelbeingegend zu dokumentieren. Es handelte sich dabei um den Fall eines 21-jährigen Malers, der 1920 mit einer unter 25.000 Volt Spannung stehenden Stromleitung in Berührung gekommen war. In der Folge entwickelte sich unter der vorderen Schädelnekrose ein Hirnabszess, der trepaniert wurde und anschließend abheilte.

Diese Moulage ist zusammen mit vielen weiteren medizinischen und künstlerischen Werken aus dem Schaffen Adolfs Fleischmann, der sich in den 1950er Jahren in New York einen Namen als konkreter Künstler machte, noch bis 28. Februar in der Ausstellung „Surfaces. Adolf Fleischmann – Grenzgänger zwischen Kunst und Medizin” im Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt zu sehen. Zu der Ausstellung ist ein reich bebilderter Katalog erschienen.

 

Literatur:

Hans Jaeger: Ueber Starkstromverletzungen. In: Schweizerische Medizinische Wochenschrift 82 (1921), S. 1250–1261

Marion Maria Ruisinger, Simone Schimpf, Thomas Schnalke (Hg.): Surfaces. Adolf  Fleischmann – Grenzgänger zwischen Kunst und Medizin. Bielefeld 2015


Autorin:

Prof. Dr. Marion Ruisinger

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