Impfverband

Im Frühjahr 2024 konnte das Deutsche Medizinhistorische Museum die außergewöhnlich umfangreiche Privatsammlung eines Luxemburgers Arztes übernehmen. Der Gynäkologe Dr. Henri Kugener (1947–2022) hatte bereits in frühen Jahren begonnen, medizinische Gegenstände, Objekte zur Pflegegeschichte sowie Druck- und Gebrauchsgrafik zu medizinhistorischen Themen zu sammeln. Natürlich war auch die Pockenschutzimpfung bei Kugener mit einigen Objekten vertreten, darunter Impflanzetten, Impfbestecke und Impfscheine. Vergleichbare Dinge befanden sich zwar bereits im museumseigenen Bestand, überraschenderweise tauchte im „Pockenkonvolut“ aber doch ein Objekt auf, das in der Museumssammlung bis dato fehlte. 

„Protect your Baby´s Arm!“

Es handelt sich dabei um einen Schutzverband, der nach erfolgter Impfung die Hautschnitte vor dem Eindringen von Schmutz und Keimen schützen sowie das Aufkratzen der Pusteln durch das Kleinkind verhindern sollte. Der Verband besteht aus einem Drahtgitter, das zum Schutz der Haut an den Rändern mit weichem Stoff umwickelt ist. Das Gestell ist leicht gewölbt und kann bequem über den Oberarm des Kleinkindes gestülpt werden. Mehrere Bändchen fixieren den Verband am Oberkörper und am Arm. Glücklicherweise hat sich die originale Kartonverpackung erhalten, auf deren Deckel Hinweise zum „Erfinder“ und zum Gebrauch des Verbandes aufgedruckt sind.

Der Text verweist auf einen gewissen William Cowan aus Glasgow, der seinen Verband als „vaccination shield“ bezeichnet und mit dem griffigen Slogan „Protect your Baby´s Arm!“ vermarktet hat. Wie erste Literaturrecherchen zum Objekt und zu Cowan gezeigt haben, war dieser häufig auf den damals beliebten „Hygiene-Ausstellungen“ vertreten, seine Anzeigen finden sich in zahlreichen medizinischen und pharmazeutischen Fachjournalen Englands. So sollte sein um 1880 entwickelter Schutzverband unter den britischen Ärzten bekannt gemacht werden. Cowan versuchte aber offenbar auch auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen. Dies zeigt etwa der Artikel in einer „Illustrirten Vierteljahresschrift“ aus dem Jahre 1881, der den Verband „der Beachtung aller Impfärzte“ empfahl. Allerdings musste dieser direkt über die Niederlassung in Glasgow bestellt werden, was darauf hindeutet, dass der Cowan´sche Impfverband in Deutschland selbst gar nicht erhältlich war. Dieser kleine Nebensatz führt nun zu der Frage, wie verbreitet solche „vaccination shields“ unter Ärzten in Deutschland (und letztlich auch in Bayern) überhaupt waren. Und er liefert vielleicht einen ersten Hinweis darauf, warum diese Schutzverbände in der doch sehr umfangreichen Sammlung des Museums zur Pockenschutzimpfung bislang fehlten.

(K)Ein Massenprodukt?

In der Tat scheint unter bayerischen Impfärzten die Frage, ob das Anlegen von Verbänden unmittelbar nach erfolgter Pockenschutzimpfung überhaupt sinnvoll war, erst kurz vor 1900 breiter diskutiert worden zu sein. In den jährlich vom Zentralimpfarzt in München abzuliefernden Berichten zum Fortgang der Schutzpockenimpfung tauchen jedenfalls erst in den 1890er Jahren erste Einträge dazu auf. So wurde etwa für die abgelaufene Impfsaison 1893 berichtet, dass die Impfstelle „manchmal auch mit Occlusionverbänden“ umwickelt würde, vornehmlich um ein versehentliches Abwischen der eingeimpften Lymphe beim Ankleiden zu verhindern. Gemäß diesen Jahresberichten, denen die schriftlichen Auskünfte jedes einzelnen bayerischen Impfarztes zugrunde lagen, erachtete so gut wie kein mit der Impfung betrauter Arzt einen derartigen Schutzverband für zweckmäßig. Nur sehr wenige Ärzte scheinen sie eingesetzt zu haben, und zwar überwiegend in ihrer Privatpraxis und weniger für die Massenimpfungen in den Dörfern, wo solche Verbände zu teuer gekommen wären. In den Fachzeitschriften werden Impfverbände dann kurz vor 1900 ausführlicher beschrieben und diskutiert, etwa Impfschutzkapseln aus dem damals neuen Zelluloid oder spezielle Impfverbände aus weichem Leinen, die über eine „Klappe“ zur Kontrolle der Impfreaktion verfügten. Allerdings handelt es sich dabei nicht um den Schutzverband von Cowan, sondern um „Impfschilder“ oder Verbände aus deutscher Produktion, die häufig von den Leitern der großen Impfanstalten in München oder Hamburg entwickelt wurden. Doch bereits wenige Jahre nach diesem „Hype“ scheint man auch davon wieder abgekommen zu sein. So vermerkte der bayerische Zentralimpfarzt in seinem Rapport für das Jahr 1907: „Schutzverbände der Impfstelle scheinen nirgends mehr angelegt worden zu sein.“ Cowan´s vaccination shield aus der Sammlung Kugener ist also ein Objekt, das der medizinhistorischen Forschung zwar interessante Einblicke eröffnet, im Alltag der Pockenschutzimpfung in Bayern aber keine Rolle spielte.

Literatur:

Alfred Groth: Ueber Impfschutzverbände, in: Muenchener Medizinische Wochenschrift 52 (1905), 1003–1005.

L[udwig] Stumpf, Bericht über die Ergebnisse der Schutzpockenimpfung im Königreiche Bayern im Jahre 1907, in: Münchener Medizinische Wochenschrift 56 (1909), 2635–2639.

Malte Thießen: Immunisierte Gesellschaft. Impfen in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 2017.

Autor
Dr. Alois Unterkircher

PDF der Objektgeschichte im Bayerischen Ärzteblatt

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