Elektrisierapparat

Keine Arztpraxis ohne Steckdosen, kein Krankenhaus ohne Notstromgenerator. Die moderne Medizin wäre ohne Elektrizität undenkbar – sei es für diagnostische Maßnahmen, therapeutische Eingriffe, Überwachungsmonitore oder schlicht zur Beleuchtung der Praxisräume und Krankenzimmer. Die ubiquitäre Verfügbarkeit von elektrischem Strom gehört zu den Errungenschaften des 20. Jahrhunderts – in München etwa wurden die Städtischen Elektrizitätswerke im Jahr 1899 gegründet. Die medizinische Anwendung der Elektrizität geht jedoch viel weiter zurück: Schon im 18. Jahrhundert loteten Ärzte die therapeutischen Möglichkeiten der neuentdeckten Naturkraft aus. Den Strom dafür produzierten sie mit speziellen Geräten, die auf dem Prinzip der Reibungselektrizität basierten.

Der hier gezeigte Reibungs-Elektrisierapparat wurde von dem englischen Mathematiker und Instrumentenbauer Jesse Ramsden (1733–1800) entwickelt. Bei diesem Modell wird eine Glasscheibe durch eine Handkurbel gedreht. Als Reibzeug dienen vier federnd gelagerte Lederkissen, in denen sich die negativen Ladungen sammeln, während auf der Glasoberfläche dieselbe Anzahl positiver Ladungen zurückbleibt. Um die Scheibe greift ein Metallbügel, der auf jeder Seite vier nadelförmige Absaugspitzen trägt. Diese nehmen die erzeugte Ladung auf und leiten sie über den Metallbügel zu der waaggerechten Messingröhre, dem Konduktor, weiter. Er dient zum Speichern der Elektrizität und ist auf zwei Kristallsäulen gut isoliert gelagert.

Der Hallenser Medizinprofessor Johann Gottlob Krüger (1715–1759) beschäftigte sich als erster mit den therapeutischen Möglichkeiten der Elektrizität. Er erklärte ihre Wirkung – noch ganz der Humoralpathologie verpflichtet – dadurch, „daß durch die Electrification eines Menschen die Säfte flüßig gemacht, und die festen Theile in den Stand gesetzt würden, sich mit grösserer Lebhaftigkeit zusammen zuziehen“. Doch als der eigentliche Begründer der Elektrotherapie gilt sein Schüler Christian Gottlieb Kratzenstein (1723–1795). Er setzte große Hoffnung auf das neue Heilmittel, weil „diese subtile electrische Materie fast in einem Augenblick durch den gantzen menschlichen Cörper dringet, welches keine andre Artzney vermögend ist”.

Eine Fallgeschichte aus unserer Museumsbibliothek gibt eine Vorstellung vom Ablauf einer solchen Behandlung. Ihr Autor ist  der Arzt Christian August Struve aus Görlitz. Am 20. April 1793 suchte ihn ein 40-jähriger Garnhändler auf, der an einem beginnenden „Schwarzen Star” litt, an einer Erblindung ohne sichtbare Veränderung am Auge. Der Kranke hatte bereits unterschiedliche Behandlungsversuche hinter sich und war sogar zu dem „berühmten Doctor Casaamata” nach Dresden gereist, der dort Hof-Augenarzt war. Dieser hatte ihm „vorzüglich den Gebrauch der Elektrizität” empfohlen.

Zurück in Görlitz, wandte sich der Kranke an Struve. Dieser übernahm gerne die Behandlung, die ihm zudem die Korrespondenz mit dem illustren Kollegen in Dresden eröffnete. Er stellte seine Elektrisiermaschine im Haus des Kranken auf und besuchte ihn täglich, um die Behandlung durchzuführen. Endlich war es soweit: „Die Dunkelheit oder der Nebel, der ihm bisher vor den Augen schwebte, fing allmählig an sich zu zerstreuen, und es schien alles hell und weiß um ihn zu seyn”. Die Besserung war leider nicht von Dauer. Rückfälle und gute Tage wechselten sich ab, bis der Kranke Ende September, „überdrüßig der langwierigen Kur”, die Behandlung abbrach und sich an einen Wundarzt in der Nachbarschaft wandte. Struve bedauerte dies sehr. Er war überzeugt, „die Sache würde einen für den Kranken glücklichern Ausgang genommen haben”, wenn dieser die Kur fortgesetzt hätte.

 

Literatur:

Rainer Gernet: Zur technischen Entwicklung der medizinischen Elektrisierapparate und Reizstromgeräte bis Ende des 19. Jahrhunderts. Realienkundliche Studie zu einem Sonderbestand des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt. Diss. human. biol. München 1992

Rainer Gernet und Christa Habrich (Bearb.): Unter Strom. Zur Geschichte der Elektrotherapie. Ingolstadt 2000 (Kataloge des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt 20)

Christian August Struve: Anwendung der Elektrizität im schwarzen Staar, in ders.: Miscellaneen für Freunde der Heilkunde. Breslau, Hirschberg u. Lissa 1796, S. 33–44


Autorin:

Prof. Dr. Marion Ruisinger

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