Bourdalou

Zu den hübschesten Objekten des Deutschen Medizinhistorischen Museums gehört sicherlich dieses zierliche, an eine Saucière erinnernde Porzellangefäß. Über dem Griff sitzt eine Kohlmeise auf einem Obstbaumzweig, Streublümchen sind locker über die Wandung verteilt, das Ganze macht einen fröhlichen, verspielten Eindruck. Auf der Unterseite prangen gekreuzte Schwerter, die uns verraten, dass das liebenswerte Objekt aus bestem Hause stammt: Es wurde um 1740 in Europas erster Porzellanmanufaktur in Meißen angefertigt, die 1710 von August dem Starken als „Königlich-Polnische und Kurfürstlich-Sächsische Porzellan-Manufaktur” gegründet wurde, nachdem es dem Alchemisten Johann Friedrich Böttger geglückt war, zwar kein Gold, aber Porzellan herzustellen.

Doch was hat diese hübsche „Saucière” in einer Vitrine des Medizinhistorischen Museums verloren, in nächster Nachbarschaft zu Nachttöpfen, Spuckkästen und Klistierspritzen? Die Antwort ist ganz einfach: Es handelt sich dabei um ein an die weibliche Anatomie angepasstes Gefäß zur Aufnahme von Urin, einen „pot de chambre oval” oder „Urinal für Damen”.

Um die Erfindung dieses Sanitärartikels rankt sich eine aparte Geschichte, die bis in die Zeit von Ludwig XIV. zurückführt. Damals predigte der Jesuit Louis Bourdaloue (1632–1704), ein brillanter Rhetoriker, am Hofe des Sonnenkönigs. Bourdaloue sprach nicht nur fesselnd, sondern auch weitschweifig. Da seine Zuhörerinnen nichts verpassen wollten, sollen sie Saucièren mit in die Kirche genommen haben, um sich beim Auftreten eines körperlichen Bedürfnisses gleich vor Ort erleichtern zu können. Da Toiletten damals ohnehin noch eine Seltenheit waren, nahm wohl auch niemand Anstoß an dieser praktischen Problemlösung, die zudem durch die ausladenden Röcke der damaligen Zeit erleichtert worden sein dürfte.

Diese Zweckentfremdung der Saucièren sprach sich herum. Findige Porzellanhersteller brachten eine bequemere Variante mit leicht eingedrückten Seitenwänden auf den Markt. Diese Form hielt sich lange. In den einschlägigen Sammlungen finden sich zahllose Varianten dieser Porzellangefäße mit phantasievollen, teils auch frivolen Ausschmückungen. Ähnliche, wenn auch wesentlich schlichtere, Damen-Nachttöpfe gab es bis 1980 noch bei der Deutschen Schlaf- und Speisewagengesellschaft, um den weiblichen Fahrgästen den nächtlichen Gang durch den ratternden Zug zu ersparen. Die ursprüngliche Bezeichnung des eleganten Nachtgeschirrs als „pot de chambre oval” war aber wohl zu sperrig, um von Dauer zu sein. Ein anderer Name bürgerte sich ein: Bourdalou. Auch heute wird diese spezielle Form von Nachttöpfen noch mit dem Namen des Jesuitenpaters bezeichnet – man darf sich fragen, ob er diese Art der Denkmalsetzung goutiert hätte.

Ob als edles Bourdalou oder als schlichtes Potschamperl, Gefäße zum Auffangen von Urin hatten nicht nur eine praktische Funktion. Sie waren auch die Voraussetzung für die wichtigste diagnostische Maßnahme der frühneuzeitlichen Medizin, die Harnschau. Durch die Begutachtung von Menge, Farbe, Transparenz, Bodensatz, Geruch und Geschmack des Harns war es dem gebildeten Medicus möglich, Aussagen über den Gesundheitszustand zu treffen. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich diese traditionelle Art der Harnuntersuchung durch neue chemische Analyseverfahren und verbesserte mikroskopische Möglichkeiten zu der uns heute vertrauten Urindiagnostik.

 

Literatur:

Johan J. Mattelaer: Some historical aspects of urinals and urine receptacles. In: World J Urol 17 (1999), S. 145–150.


Autorin:

Prof. Dr. Marion Ruisinger

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