Apollonia

Auf den ersten Blick lässt die zierliche, fröhlich bunte Wachsfigur mit dem Heiligenschein an die unbeschwerte Welt der Weihnachtskrippen denken. Doch auf den zweiten Blick ruft sie ganz andere, sehr viel unangenehmere Assoziationen wach – denn in ihrer Linken hält sie eine Zange mit einem blutigen Backenzahn.  Die Figur zeigt die Heilige Apollonia, die Schutzheilige der Zahnärzte.

Der älteste bekannte Bericht vom Martyrium der Heiligen Apollonia findet sich in der 325 vollendeten Kirchengeschichte des Eusebius von Kaisareia. Er schildert darin eine Christenverfolgung in Alexandria (Ägypten), die sich im Jahr 249 zugetragen hat. Unter den Opfern war auch die Christin Apollonia, der man durch Schläge auf den Kiefer die Zähne herausgebrochen hatte. Doch Apollonia blieb standhaft und wollte ihrem Glauben nicht abschwören. Als man ihr daraufhin mit der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen drohte, wählte sie den Tod und stürzte sich selbst in die Flammen. Dieser Freitod wurde von der frühen Kirche durchaus kontrovers diskutiert.

Die Verehrung der Heiligen Apollonia blieb zunächst lokal begrenzt. In Westeuropa wurde sie erst bekannter, nachdem sie im 9. Jahrhundert Eingang in die „Martyrologien”, die Namenskalender der Blutzeugen Christi, gefunden hatte. Im Verlauf der Jahrhunderte wurde die Lebensbeschreibung der Heiligen immer weiter ausgebaut. So erzählen spätere Legenden, ihr seien während des Martyriums die Zähne einzeln gezogen worden. Daher galt sie seit dem 13. Jahrhundert als Fürsprecherin bei Zahnschmerzen. Später wurde sie auch zur Patronin des Berufsstandes der Zahnärzte, der sich im 19. Jahrhundert herausbildete. Ihre Attribute sind die Zahnreißzange (meist mit Zahn) und der Palmzweig der Märtyrerin.

Die Verehrung der Heiligen Apollonia wurzelt in der Zeit der Baderchirurgie. Es waren damals zwar durchaus Möglichkeiten der konservativen Zahnbehandlung bekannt, für den Großteil der Bevölkerung bestand die Behandlung von schmerzenden Zähnen aber im – ebenfalls schmerzhaften – Zahnreißen. Einen prothetischen Ersatz der gerissenen und ausgefallenen Zähne konnten sich nur Wohlhabende leisten. Und auch dann war dieser Ersatz eher kosmetisch als funktionell befriedigend. In ihrer Not setzten die von Zahnschmerzen Gequälten auf himmlische Hilfe – sei es durch Gebete an die Heilige Apollonia oder durch Votivgaben wie die hier gezeigte Figur, die sie der Heiligen als Bitt- und Dankopfer widmeten.

Nicht jeder Zahnkranke konnte es sich leisten, eine solch aufwendig gearbeitete Figur zu spenden. Sehr viel häufiger kamen dafür einfachere Wachsvotive zur Verwendung, etwa hufeisenförmige, einfach gearbeitete „Gebisse“ aus Wachs oder ein „steiler Zahn” als Einzelvotiv. In Pfaffenhofen kann man in der ehemaligen Wachszieherei der Familie Hipp heute noch die fein gearbeiteten Holzmodeln bewundern, mit denen diese Votive hergestellt wurden. Der Leiter des privaten Museum, Hans Hipp, erzählt bei Führungen auch von dem Weg, den die in Pfaffenhofen gegossenen Votive in den nahegelegenen Wallfahrtsort Niederscheyern nahmen. Die dort erhaltenen, handschriftlichen Mirakelbücher berichten von den Nöten – und der Dankbarkeit – der Gläubigen. So erzählt ein Eintrag aus dem Jahr 1700: „Ursula Conradin von Vieth Erlitte schwere Zähnschmerzen, verlobte sich mit Einem vächsenen Biß, opfer in Stokh, und bettung eines Rosenkranz, haben die schmerzen gleich nachgelassen.” Das Mirakelbuch erzählt auch von leidvollen Therapiefolgen: „... durch den Bader im Zahn außbrechen ist das Kinn dermassen veruckt daß wegen erfolgter großer geschwulst und Schmertzens sie den Mund gantz nit mehr eröffnen unnd also 9 Tag lang durchauß nichts zur speiß niessen khundte...”.

 

Literatur:

Hans Hipp: Votivgaben. Heilung durch den Glauben. Pfaffenhofen 1984

Marion Maria Ruisinger (Hg.): Heilige und Heilkunst. Ingolstadt 2010 (Kataloge des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt 33)


Autorin:

Prof. Dr. Marion Ruisinger

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