Im Jahr 2023 übernahm das DMMI die umfangreiche Privatsammlung des Luxemburger Gynäkologen Dr. Henri Kugener (1943 bis 2022). Als Teil dieser Sammlung gelangte auch das vorgestellte Akupunkturmodell ins DMMI. Das 70 Zentimeter große Kunststoffmodell wurde von dem 1978 gegründeten japanischen Unternehmen Seirin produziert, das für die Herstellung von Akupunkturnadeln bekannt ist. Auf der Oberfläche des Modells sind farbig die zwölf Hauptleitbahnen sowie das Zentral- und das Lenkergefäß dargestellt. Gemäß der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) zirkuliert in diesen Leitbahnen das Qi (Lebenskraft) durch den Körper. Wird der Fluss des Qi gestört, sind Beschwerden und Krankheiten die Folge. Durch das Einstechen von Nadeln an definierten Akupunkturpunkten soll der Fluss des Qi wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. In diesem Modell sind die 361 klassischen Akupunkturpunkte dargestellt und entsprechend der Nomenklatur bezeichnet, die in den 1980er-Jahren von der WHO ausgearbeitet wurde [1].
Akupunktur wird bereits seit über 2.000 Jahren betrieben. Der erste schriftliche Hinweis findet sich dem Sinologen Paul Unschuld zufolge in dem Werk „Shi Ji“ aus dem Jahr 90 v. Chr. Aus dieser Zeit der westlichen Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 9 n. Chr.) stammt auch eine lackierte Holzfigur, bei der es sich möglicherweise um ein frühes Akupunkturmodell handelt [2]. Über 1.000 Jahre später, im Jahr 1027, ließ der Kaiserliche Medizinalbeamte Wang Weiyi zwei Bronzefiguren gießen, bei denen es sich gesichert um Akupunkturmodelle handelte. Wang Weiyi hatte sich zuvor intensiv mit Texten zur Akupunktur befasst, die unterschiedlich viele Akupunkturpunkte verzeichneten. Schließlich legte er sich auf 354 Punkte fest, die er auf seinen Modellen markierte. Die lebensgroßen Bronzefiguren waren so geschaffen, dass sie in eine vordere und eine hintere Hälfte zerlegt werden konnten. Die Leitbahnen hatte man als feine Rillen auf der Oberfläche eingearbeitet. Die Akupunkturpunkte waren als Löcher eingestochen und mit Schriftzeichen benannt. Die Modelle dienten zu Lehrzwecken. In zeitgenössischen Berichten wird beschrieben, dass die Löcher der Akupunkturpunkte mit Wachs verschlossen und die Figuren anschließend mit Wasser gefüllt wurden. Die Aufgabe war es nun, die Akupunkturpunkte zu ermitteln und Nadeln an den entsprechenden Stellen einzustechen. Wenn der Punkt genau getroffen wurde, drang die Nadel in das Loch ein und Wasser floss heraus [3].
Bis die Akupunktur ihren Weg nach Europa fand, sollten noch einige weitere Jahrhunderte vergehen. Erste Berichte aus dem späten 16. Jahrhundert stammten von Jesuiten, die in Japan missionierten. Dort beobachteten sie die Akupunktur, die die Japaner von den Chinesen übernommen hatten. Erst im 17. Jahrhundert folgten ausführlichere Abhandlungen über das Nadelstechen. 1683 etwa erschien die Arbeit des niederländischen Arztes Willem ten Rhijne, der während seines Dienstes für die Niederländische Ostindien-Kompanie mit der Akupunktur in Berührung gekommen war. Er war es auch, der den Begriff „Akupunktur“ für das Nadelstechen prägte [4].
In Europa waren diese Texte bekannt, doch der Akupunktur begegnete man mit Verwunderung und Skepsis. Der Chirurgieprofessor Lorenz Heister beispielsweise führte sie 1719 nur der Vollständigkeit halber in seinem Lehrbuch auf: „Dieweilen aber diese operation [die Akupunktur] bey den Europäern gar nicht gebräuchlich, halten wir nicht nöthig selbige weitläuffiger zu beschreiben“ [5]. Der große Durchbruch gelang der Akupunktur in Europa erst im 20. Jahrhundert. Durch die Beschäftigung mit chinesischen Originalquellen war inzwischen ein besseres Verständnis der Methode entstanden. In Deutschland gewann sie seit Mitte des 20. Jahrhunderts an Bedeutung. Beispielsweise gründete sich 1951 die „Deutsche Ärztegesellschaft für Akupunktur“ in München [6]. Nicht zuletzt war es die Öffnung Chinas in den 1970er-Jahren, die das Interesse an der Akupunktur befeuerte und sie einem großen Personenkreis bekannt machte.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Weltgesundheitsorganisation, Regionalbüro Westlicher Pazifikraum (Hg.): Standard Acupuncture Nomenclature. Manila 1984
[2] Vgl. Unschuld, Paul: Chinesische Medizin. München 1997, S. 41-43
[3] Vgl. Unschuld, Paul: Huichun. Rückkehr in den Frühling. Chinesische Heilkunde in historischen Objekten und Bildern. München und New York 1995, S. 85-86
[4] Vgl. Michel, Wolfgang: Frühe westliche Beobachtungen zur Moxibustion und Akupunktur. In: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 2 (1993), S. 193-222, hier S. 193-195
[5] Zitiert nach: Heister, Lorenz: Chirurgie, in welcher alles, was zur Wund-Artzney gehöret, nach der neuesten und besten Art gründlich abgehandelt und in vielen Kupffer-Tafeln die neuerfundene und dienlichste Instrumenten nebst den bequemsten Handgriffen der Chirurgischen Operationen und Bandagen deutlich vorgestellet werden. Nürnberg 1719, S. 394
[6] Vgl. Arnold, Hans-Jürgen: Die Geschichte der Akupunktur in Deutschland. Heidelberg 1976, S. 67-69
Autorin
Lara Wendel M.A.