Ackerschachtelhalm, Equisetum arvense L. | Wenn wir dem Ackerschachtelhalm begegnen, werden wir über 400 Millionen Jahre zurückversetzt: Der Schachtelhalm ist der letzte Vertreter einer Pflanzenfamilie, die in den Wäldern der Karbonzeit ihren Höhepunkt erlebte. Man konnte durch Versteinerungen nachweisen, dass die Schachtelhalme eine Größe von ca. 30 Metern besaßen. Unser heimischer Ackerschachtelhalm ist ein zwerghafter Nachfahre dieser gigantischen Pflanzen von damals.
Der Schachtelhalm gehört zu den Gefäßsporenpflanzen: Im Frühjahr treiben blasse braune Stängel aus der Erde, die an der Spitze sporentragende Zapfen tragen. Dieser Anblick hat schon etwas Urtümliches. Wenn die Sporen reif sind, werden sie vom Wind fortgetragen. Daraus wachsen winzige, moosähnliche Pflänzchen. Der Frühjahrstrieb stirbt nach „getaner Arbeit“ ab.
Dafür erscheinen ab Mai die grünen, unfruchtbaren Sommertriebe. Ihre Aufgabe besteht nicht in der Fortpflanzung, sondern in der Photosynthese. Diese Sommertriebe werden bis zu einem halben Meter hoch und sehen aus wie kleine Tannenbäumchen. Sie bestehen aus dünnen, gerillten Stängeln mit quirlig stehenden Seitentrieben, deren einzelne Glieder ineinander geschachtelt sind - daher auch der Name „Schachtelhalm“. Der Namensteil „Acker“ gibt einen Hinweis auf den Standort der Pflanze. Sie gilt als Zeigerpflanze für einen schlecht durchlüfteten und stark verdichteten Boden.
Zur medizinischen Bedeutung des Schachtelhalms: In der Antike wird er von Dioskurides und Plinius d. Ä. als Mittel zur Blutstillung erwähnt. Dann geriet er lange in Vergessenheit. Erst Pfarrer Sebastian Kneipp empfahl ihn wieder zur Behandlung von Rheuma und Gicht und um die Wundheilung zu verbessern. Heutzutage wird der Ackerschachtelhalm zur Durchspülungstherapie bei bakteriellen und entzündlichen Erkrankungen der ableitenden Harnwege und bei Nierengrieß verwendet. Bei eingeschränkter Herz- und Nierentätigkeit sollte von einer Therapie mit dieser Pflanze allerdings abgesehen werden. Für die ausschwemmende (diuretische) Wirkung sind hauptsächlich die Flavonoide verantwortlich.
Ein weiterer charakteristischer Inhaltsstoff des Schachtelhalms ist die Kieselsäure mit ihren Salzen, den Silikaten. Wie winzige Sandkörnchen festigen sie die Zellwände der Pflanze. Daher fühlt sich der Schachtelhalm auch so merkwürdig spröde und störrisch an. Die Silikate sind übrigens auch verantwortlich für die volkstümliche Bezeichnung des Ackerschachtelhalms als „Zinnkraut“: Wegen seiner körnigen Struktur wurde er als Poliermittel für Zinngeschirr verwendet.
GartenbesitzerInnen ist die faszinierende Geschichte dieser Pflanze meist ziemlich egal. Sie sind einfach nur genervt vom Schachtelhalm und würden ihn nur zu gerne aus ihren Beeten verbannen. Doch das ist nicht so einfach, denn die Stängel brechen leicht ab und das weit verzweigte unterirdische Rhizom der Pflanze schiebt an einer anderen Stelle einfach neue Triebe nach. Wir werden wohl auch die nächsten 400 Millionen Jahre noch mit dem Schachtelhalm leben müssen...
geschrieben von Apothekerin Sigrid Billig als „Gartenvisite auf Distanz" für Dienstag, den 28.4.2020